Zufrieden leben trotz wenig Geld? Über Ausnahmen, die die Regel bestätigen – und die Politik herausfordern

Für die meisten Menschen in Europa ist ein Leben am Rande des Existenzminimums sehr belastend. Für die Mehrheit der Betroffenen bestimmen finanzielle Ängste und Sorgen das Lebensgefühl. Doch es gibt sie, Männer und Frauen, die trotz widriger finanzieller Umstände mit ihrem Leben zufrieden sind. Ein internationales Forscherteam ist der Frage nachgegangen, was diesen Menschen ungeachtet aller materiellen Einschränkungen zu einem zufriedenstellenden und würdevollen Dasein verhilft.

Armut ist ein anhaltendes Problem in Europa. Trotz der Absichtserklärung der Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel 2000 in Lissabon, trotz der damit einsetzenden Aktivierungspolitik vieler Mitgliedstaaten, trotz der Flexibilisierung und Dynamisierung der Arbeitsmärkte ist es nicht gelungen, Armut in Europa deutlich zu reduzieren. Die Wirtschafts- und Finanzkrise nach 2007 und die Covid-19-Krise haben das ihrige dazu beigetragen.

Doch was tun? Wie muss sich die Sozialpolitik ändern? Was können wir von den Armen selbst lernen? Aufschlussreich sind hier die Ergebnisse des Projektes „Patterns of Resilience during Socioeconomic Crises among Households in Europe“ (RESCuE), einer vertieft angelegten qualitativen Studie von 250 Haushalten mit niedrigem Einkommen in neun europäischen Ländern. An der vom IAB koordinierten und von der Europäischen Union (EU) geförderten Studie waren mehr als 30 Forscherinnen und Forscher beteiligt. Die zentrale Erkenntnis der Studie: Manche Niedrigeinkommenshaushalte haben die individuellen Folgen der europaweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 materiell wie sozial offenbar besser bewältigt als andere – trotz ähnlich widriger finanzieller Umstände. Solche Fähigkeiten werden in der Fachwelt auch als Resilienz bezeichnet.

Sofern nicht rasch ein Zugang oder eine Rückkehr in stabile, bedarfssichernde Beschäftigung erfolgt, sind die meisten Armuts- oder Niedrigeinkommenshaushalte auf Hilfen zur Sicherung des Unterhalts angewiesen. Dies kann jedoch unterschiedliche Formen annehmen.

Viele Haushalte, die Unterstützungsleistungen aus sozialen Mindestsicherungssystemen beziehen, beklagen, dass ihre finanziellen Ressourcen extrem knapp sind – insbesondere ab der Monatsmitte, dass ihnen jegliche Rücklagen für Eventualitäten fehlen und dass sie ohne Geld nur schwer am sozialen und kulturellen Leben teilhaben können. Andere Haushalte berichten annähernd das Gleiche, beziehen jedoch keine oder weniger Grundsicherungsleistungen. Nur wenigen Niedrigeinkommenshaushalten, die keine oder nur geringe staatliche Transferleistungen beziehen, geht es nach eigener Wahrnehmung relativ gut.

Was hat diese kleine Gruppe der sehr einkommensschwachen, aber resilienten Haushalte gemein? Sie verfügen offenbar über ein weites Spektrum von gegenseitig substituierbaren, miteinander verwobenen und vielfältig nützlichen Praktiken und Ressourcen, dank derer sie ihren Lebensunterhalt aus unterschiedlichen Quellen bestreiten können. Direkte Transfereinkommen spielen, zumindest für manche Typen resilienter Haushalte, dabei eine vergleichsweise geringe Rolle. Hingegen kommt der Verfügbarkeit von sogenannten Gemeingütern erhebliche Bedeutung zu. Des Weiteren zeigt sich die Notwendigkeit eines leistungsfähigen Wohlfahrtsstaates, denn Resilienz von Niedrigeinkommenshaushalten ist oft genug instabil und gefährdet.

Nur wenige Niedrigeinkommenshaushalte sind resilient

Für diesen etwas höheren Lebensstandard resilienter Haushalte – monetär, hinsichtlich der Verfügbarkeit bestimmter Güter oder im Hinblick auf das Wohlbefinden – sind aus soziologischer Perspektive neben den Fähigkeiten, mit Krisen umzugehen, vor allem bestimmte soziale, wirtschaftliche und kulturelle Ressourcen verantwortlich, über die resiliente Niedrigeinkommenshaushalte in höherem Maße als andere einkommensschwache Haushalte verfügen. Hierzu gehören Bildung, Wissen, praktische Fertigkeiten und bestimmte Werte wie Familie, Solidarität und gegenseitige Hilfe als kulturelle Ressource.

Wirtschaftliche Ressourcen von resilienten Familien im Armuts- und Niedrigeinkommensbereich sind Güter, die das Haushaltsbudget stark entlasten oder produktiv genutzt werden können – beispielsweise selbst genutztes Wohneigentum, ein eigenes Auto, landwirtschaftliche oder handwerkliche Gerätschaften und Räumlichkeiten, auch ein Nutzgarten. Im Hinblick auf soziale Ressourcen verfügen resiliente Haushalte über mehr, vielfältigere und belastbarere Netzwerke als nicht resiliente Haushalte im Niedrigeinkommensbereich.

Manche dieser Ressourcen sind privat erworben oder zustande gekommen, etwa ein Fahrzeug oder ein Netzwerk aus Freunden und Verwandten. Bei anderen handelt es sich um Gemeingüter, etwa die Räumlichkeiten eines Sportvereins, ein Wald oder Fluss, ein Beratungsangebot einer karitativen Einrichtung oder eine Lebensmitteltafel. Wiederum andere sind zwar privat, aber ihre Herstellung oder ihr Zustandekommen wäre ohne Gemeingüter nicht denkbar – etwa Bildung. Sie gehört denen, die sie erworben haben, produziert wird sie jedoch im öffentlichen Schulsystem. Sehen wir uns einige Fallbeispiele aus verschiedenen Ländern an, die typisch für verschiedene Formen resilienter Haushalte sind.

Naturnutzung und gemischter Lebensunterhalt

Frau Järvinnen (diese und alle weiteren Personennamen im Text sind geändert), Mitte 30, lebt mit ihren drei Kindern in Finnland, in einer kleinen Siedlung am Polarkreis, in einem eigenen Haus mit etwa 70 Quadratmetern Wohnfläche. Sie ist alleinerziehend, hat derzeit keine bezahlte Arbeit, arbeitet allerdings immer wieder für mehrere Wochen im Jahr in Gelegenheitsjobs, auch entfernt von ihrem Wohnort. Von den Jobs erfährt sie über ihr weit verzweigtes Netzwerk aus Freunden, Verwandten und Bekannten, das bis in die entfernte Hauptstadt Helsinki reicht.

Zeitweise erhält sie Unterstützung aus dem sozialen Mindestsicherungssystem. Diese entspricht kaufkraftbereinigt in etwa dem deutschen Arbeitslosengeld II – mit dem interessanten Unterschied, dass nur „aktive“ Personen den vollen Grundsicherungssatz erhalten, also solche, die aktiv Arbeit suchen, sich an Maßnahmen beteiligen oder Jobs beziehungsweise einer „kleinen“ Selbstständigkeit nachgehen. Ansonsten müssen sie einen Abschlag von 5 Prozent hinnehmen.

Die Gegend, in der sie lebt, ist arktisch-ländlich und dünn besiedelt. Viele Menschen aus der Nachbarschaft züchten Rentiere und verkaufen Fleisch und Fell, die meisten Einheimischen nutzen die kurzen Sommer, um in großem Umfang Beeren und Pilze zu sammeln, so auch Frau Järvinnen und ihre Kinder. Konserviert, getrocknet oder eingefroren bereichern diese Früchte des Waldes den eigenen Speisezettel, werden getauscht, verschenkt, aber auch an Lebensmittelhändler, Restaurants oder Touristenshops verkauft.

Im Winter stellt Frau Järvinnen traditionelle, maßgefertigte Schuhe aus dem Fußfell der Rentiere her, teils auf Bestellung und gegen Bezahlung, vor allem aber als wertvolles Gut für „sozialen Tausch“: als Geschenk, bei dem eine unbestimmte soziale Verpflichtung zu einer Gegenleistung entsteht, als Investition in eine persönliche Beziehung.

Im Interview hebt sie hervor, wie wichtig es ist, die eigenen Kinder in diese erweiterten Haushaltsaktivitäten einzubeziehen: Sie lernen, wie man die Natur nutzt, was essbar ist und was nicht, und sie lernen, dass ein gutes Leben auch eine gewisse Mühe erfordert. „Die Beeren springen einem nicht von selbst in den Teller“, wie sie sich ausdrückt. Einige Monate nach dem Interview erfährt das Forschungsteam, dass Frau Järvinnen mittlerweile rund um ihr Haus einige Kartoffelfelder angelegt hat und ihre erste Ernte verkauft. Zudem hat sie sich für ein Fernstudium im sozialpflegerischen Berufsfeld eingeschrieben.

Man mag als urban geprägter Mensch aus Mitteleuropa meinen, das Leben aus und mit der Natur sei entweder auf entlegene Gebiete beschränkt oder mehr ein Hobby, vielleicht gesund und psychologisch stabilisierend, aber kein signifikanter wirtschaftlicher Beitrag zur Verbesserung der eigenen Lebensqualität. Zwei Gegenargumente mögen hier genügen. Zum einen sei erinnert an die sogenannte Datscha-Ökonomie der ehemaligen Ostblockländer. Sie mag zwar nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben vergleichsweise ineffizient gewesen sein. Doch sie scheint zeitweise mehr als die Hälfte des in Russland produzierten Volumens an frischem Obst und Gemüse bereitgestellt zu haben – so eine Schätzung auf Basis der detaillierteren Befunde von Paul Caskie in einer im Jahr 2000 erschienenen Studie. Zum anderen konnten im Rahmen des RESCuE-Projektes ähnliche Haushalte auch an der Peripherie von europäischen Großstädten wie Lissabon, Madrid, Katowice oder Magdeburg gefunden werden.

Wissen und Fertigkeiten der Betroffenen beruhen auf traditionellen Kenntnissen, aber auch auf dem Zugang zu Bildungseinrichtungen, beides Kollektivgüter. Sie fußen auf privat- oder gemeinrechtlichem Zugang zu Land und Wasser, auf der Verfügbarkeit einfacher Produktions- und Transportmittel, auf einem Arbeitsmarkt zumindest für Gelegenheitsjobs, und auf einem Wohlfahrtsstaat, dessen Transferleistungen und Arbeitsfördermaßnahmen mindestens dann zur Verfügung stehen, wenn die eigenen Anstrengungen scheitern oder nicht ausreichen.

Charakteristisch für diese Haushalte ist dabei, dass sie ihren Lebensunterhalt aus verschiedenen Einkommensquellen bestreiten, also neben Sozialtransfers auch Natural- und Geldeinkommen erwirtschaften. Zudem verfügen sie typischerweise über entwickelte und belastbare persönliche Netzwerke, über die Arbeit, Güter, Chancen und Geld geteilt und getauscht werden. Sie haben also vergleichsweise viele Kontakte über ihr engstes soziales Umfeld hinaus, die sich bei der Alltagsbewältigung und unter Umständen auch bei der Jobsuche als nützlich erweisen können.

Resilientes Kleinstunternehmertum

Eine andere Konstellation von Ressourcen und Gemeingütern zeigt sich bei Herrn Schmidt. Er ist Mitte 50 und lebt in einem nicht gerade wohlhabenden Gründerzeitviertel einer ostdeutschen Großstadt. Er hat eine bewegte Berufsbiografie hinter sich: Schlosserlehre, Militärdienst in der Nationalen Volksarmee, Betriebsschließungen, episodische Arbeitslosigkeit und Jobsuche, Schwierigkeiten mit Vorgesetzten, tiefgehende Krankheitsepisoden, wachsende Probleme, einen neuen Job zu finden.

Diese Situation hat ihn vor etwa fünf Jahren dazu gebracht, sich mit einem Hausmeister- und Entrümpelungsdienst selbstständig zu machen. Das Angebot reicht von der Pflege von Grünanlagen über Haushaltsreparaturen bis hin zu Wohnungsauflösungen. Außerdem setzt er in seiner Hinterhofwerkstatt brauchbare Möbel, Einbauküchen und Haushaltsgeräte wieder instand, die seinem Entrümpelungsdienst überlassen wurden, und verkauft sie im Secondhandladen seiner Lebensgefährtin im Vorderhaus.

Das monetäre Nettoeinkommen des Ehepaars liegt mal über, mal knapp unter der Armutsgrenze. Seit er sich selbstständig gemacht hat, ist er allerdings nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen. Sein Geschäftsprinzip ist nicht Profit, sondern Fairness, Ehrlichkeit und Gemeinsamkeit. Für Teile seiner (oft älteren und nicht so gut situierten) Stammkundschaft arbeitet er günstiger, die Preise für die reparierten Möbel und Geräte sind auch für Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, fair. Nach jedem Arbeitstag teilen seine Lebensgefährtin und er das an diesem Tag verdiente Geld auf. Zudem widerstrebt es ihm, Sachen, die noch repariert werden können, wegzuwerfen: „Das ist doch noch gut“, befindet er, oder „saubermachen, dann etwas Öl und polieren, dann kann man das wieder verkaufen“.

Ohne sich explizit dazu zu bekennen, ist Herr Schmidt damit ein Unternehmer, der aber – um mit Joseph Schumpeter zu sprechen – nicht „kreativ zerstört“, sondern sich der zurückgelassenen Dinge annimmt und sie wieder in den Nutzungskreislauf zurückführt. Dies, gepaart mit praktischen Fertigkeiten und einer entsprechenden moralischen Grundhaltung, macht sein Resilienzmodell aus.

Wir finden Selbstständigenhaushalte dieser Art in verschiedenen Ländern: Frau Kader ist mit ihrer Familie 2014 aus Syrien geflohen, nach einem Jahr in einem türkischen Flüchtlingscamp hat sie mit Verwandten eine Textilmanufaktur mit 15 Beschäftigten (meist Verwandte) in einem geräumigen Istanbuler Kellergeschoss eingerichtet. Seitdem müssen sie nicht mehr hungern, dennoch führen sie ein kärgliches Leben: Der größte Luxus besteht für Frau Kader in einem halben freien Tag, einem Glas Tee und ein paar Zigaretten.

Herr Mahmoud, bereits 2009 mit Familie aus Syrien emigriert, arbeitet als fliegender Händler für Elektroartikel und ist Aktivist in einer linksgerichteten Armenselbsthilfegruppe in Athen.

Herr Groß ist selbstständiger Bildungsunternehmer in einer ländlichen Region Ostdeutschlands, er bietet dort gemeinsam mit seiner Tochter oder anderen Berufskolleginnen und -kollegen erlebnispädagogische Programme für Kinder aus benachteiligten Familien an.

Es dürfte mehr als nur ein Zufall sein, dass in allen drei Fällen die Wiederherstellung von Weggeworfenem oder die Unterstützung von Benachteiligten das sonst bei Unternehmern dominierende Gewinnmotiv überlagert und vielmehr die Sinnhaftigkeit der eigenen Aktivitäten der entscheidende Antrieb ist. Relevante Gemeingüter in ihrem Lebens- und Wirtschaftszusammenhang sind Dinge, die niemand mehr braucht, die gemeinsame Anstrengung und Arbeitskraft der Familie oder einer Gruppe Gleichgesinnter, oder vom Wohlfahrtsstaat bereitgestellte Transferleistungen. Sie bilden die Grundlage für ein Geschäftsmodell, das in ihrem Fall sicher nicht zu Reichtum, kaum zur Beendigung der Armut, aber zu einer stärkeren Unabhängigkeit von Sozialtransfers führt – und damit auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken dürfte.

Weitere typische Formen resilienter Haushalte

Es gibt noch andere typische Konstellationen resilienter Haushalte, die hier nur kurz erwähnt werden können, obwohl jede eine ausführliche Darstellung verdient hätte. Alleinstehende, die ihre Bedürfnisse auf das Allernotwendigste reduzieren konnten, gewissermaßen Asketen, oft mit passendem religiös-weltanschaulichem Hintergrund. Familien, die trotz Ausgrenzungserfahrungen ihre wohlfahrtsstaatlichen Ansprüche gegen Widerstände durchsetzen – oft geprägt durch chronische Erkrankungen oder Behinderung. Menschen mit biografischen Traumata, denen es gelingt, sich zu stabilisieren, wo andere zerbrechen. Familien und Einzelpersonen, denen es durch Solidarität und gegenseitige Hilfe im Rahmen größerer Gemeinschaften – sei es über die Kirchengemeinde, sei es über Selbsthilfeorganisationen – gelingt, biografische Einbrüche und wirtschaftliche Krisen zu überstehen.

Verschiedene Gemeingüter spielen in ihrem Leben eine zentrale Rolle: Kollektivgüter und Netzwerke, die über Gruppen- oder lokale Zugehörigkeiten zugänglich sind, niedrigschwellige wohlfahrtsstaatliche und karitative Beratungs- und Unterstützungsangebote. Preisgünstiger, weil durch die öffentliche Hand oder Genossenschaften angebotener Wohnraum. Günstige öffentliche Energie- und Wasserversorgung, öffentlicher Personenverkehr, ein niedrigschwelliger Zugang zu Informations- und Bildungsangeboten, von der Volkshochschule bis zum kostenlosen Internet- und Computerzugang in der Stadtbibliothek.

Was zu lernen wäre

Wohlgemerkt: Resiliente Haushalte in Armutslagen und im Niedrigeinkommensbezug sind vergleichsweise selten. Und sie brauchen den Wohlfahrtsstaat und dessen Gemeingüter, auch wenn direkte Transfereinkommen bei ihnen eine etwas geringere Rolle spielen als bei den nicht resilienten Haushalten.

Nahezu alle resilienten Haushalte, die im Rahmen des Projektes untersucht wurden, haben einige Dinge gemeinsam: Sie bewältigen ihr Leben aktiv, die meisten von ihnen auch mindestens in Teilen wirtschaftlich, sei es als Selbstversorger, sei es in formellen oder informellen Beschäftigungsverhältnissen, sei es als Kleinstunternehmer. Bei vielen von ihnen liegen die Einkommen eher am oberen Rand des Armutsspektrums als am unteren, und nur bei wenigen haben bereits die Eltern Sozialleistungen bezogen.

Sie besitzen eher ein (meist älteres) Auto, das sie häufig selbst reparieren, sie bewohnen öfter ein Eigenheim – jedoch eher die selbst umgebaute Gartenlaube oder das Siedlerhäuschen als eine Neubauwohnung in guter Lage. Sie treiben aktiv die Bildung ihrer Kinder voran, kümmern sich um deren Hausaufgaben, besuchen die Sprechstunden der Lehrkräfte, überwachen die Mediennutzung der Kinder.

Häufig sind sie hervorragend vernetzt, mit Menschen in ähnlichen, aber auch anderen Lebenssituationen. Sie pflegen diese Netzwerke bewusst und sorgfältig, nicht nur kommunikativ, sondern auch mit sozialem Tausch von Gütern und Unterstützungsleistungen, und sofern es sich um formelle Netzwerke handelt (Vereine, Genossenschaften, religiöse oder politische Gemeinschaften) mit aktiver statt nur passiver Mitgliedschaft. Sie sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – sozial integriert und respektiert, das Risiko der sozialen Isolation ist bei ihnen gering. Sie verfügen in der Regel über etwas mehr Bildung und Wissen als nicht resiliente einkommensarme Menschen – etwa durch handwerkliche Ausbildungen oder ein (abgebrochenes) Studium – und über Wertorientierungen, für die Gewinnstreben und beruflicher Erfolg weniger wichtig sind als Solidarität, gegenseitige Hilfe, Respekt und gute zwischenmenschliche Beziehungen.

Auch wenn nur wenige von diesen resilienten Haushalten im Niedrigeinkommensbereich den Weg zu regulären Arbeitsverhältnissen und Mittelschichtseinkommen schaffen, zeigen sie uns doch, wie trotz widriger Umstände ein aus Sicht der Betroffenen zufriedenstellendes Leben gelingen kann. Dennoch ist die Möglichkeit, Transfereinkommen zu beziehen, wenn die eigenen Strategien scheitern, wichtig, denn sie haben im Fall des Falles kaum belastbare Reserven. Wichtig sind ebenso eigene, stark kostenentlastende oder produktiv nutzbare Besitztümer wie Auto, Wohnung, Garten. Wichtig ist der Zugang zur Natur – ob als kostenlose Bildungs-, Freizeit- und Erholungsmöglichkeit oder für die Selbstversorgung. Zentral ist dafür eine ausdifferenzierte Landschaft wohlfahrtsstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Gemeingüter, Unterstützungsangebote und eine Infrastruktur, die den Mangel an finanziellen Ressourcen teilweise kompensieren kann, vom preisgünstigen öffentlichen Nahverkehr bis zum kostenlosen Schulsystem und der Förderung von Netzwerken, wie Selbsthilfegruppen, Vereine, Ehrenämter.

Diese Gemeingüter kommen auch anderen vulnerablen, also besonders gefährdeten Gruppen zugute – nicht nur denen, die tatsächlich Leistungen der Grundsicherung beziehen, sondern auch den vielen, die die ihnen zustehenden Sozialleistungen nicht beantragen, auch den Menschen mit niedrigen oder unregelmäßigen Arbeitseinkommen oder Unterhaltsansprüchen knapp oberhalb der Armutsgrenze.

Nicht zuletzt hat die Corona-Krise auf weitere Personenkreise mit erhöhtem wirtschaftlichen Risiko aufmerksam gemacht, die von einer guten sozialen Infrastruktur profitieren können: Studierende mit schmalem Geldbeutel, aber ohne Bafög oder Unterhalt der Eltern. Kleinunternehmer und Selbstständige in der Krise, denen Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld nicht zugänglich sind, die ihr Produktivvermögen jedoch nicht auflösen können, um für die Grundsicherung anspruchsberechtigt zu sein.

Aus all diesen Gründen sollten wir den Gemeingütern und der sozialen Infrastruktur eine höhere Aufmerksamkeit bei der Bekämpfung von Armut und der Abfederung von Krisen schenken als bisher – wohlverstanden: nicht anstatt, sondern im Zusammenwirken mit direkten Sozialtransfers.

Literatur

Boost, Marie; Dagg, Jenny; Gray, Jane; Promberger, Markus (Hrsg.) (2020): Poverty, Crisis and Resilience. Cheltenham (UK): Edward Elgar.

Caskie, Paul (2000): Back to Basics: Household food production in Russia. In: Journal for Agricultural Economics 51 (2), S. 196–209.

Ostrom, Elinor (1990): Governing the Commons. The Evolution of Institutions for Collective Action. Cambridge (USA): Cambridge University Press.

erschienen in “Befunde aus der IAB-Grundsicherungsforschung 2017 bis 2020” des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Autor: Markus Promberger