Menschen mit einer chronischen und schweren psychischen Erkrankung gelingt nur selten eine nachhaltige Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt, obwohl für die Wiedereingliederung in Beschäftigung unterschiedliche Ansätze und Instrumente zur Verfügung stehen. Unter den verschiedenen Ansätzen hat sich insbesondere das Konzept des „Supported Employments“, also der “Unterstützten Beschäftigung”, als erfolgreich herauskristallisiert. Es zielt darauf ab, Betroffene möglichst schnell auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu platzieren und zugleich intensiv zu begleiten.
Aus rehabilitationswissenschaftlicher Perspektive werden im Bereich der beruflichen Teilhabe zwei große Paradigmen unterschieden. Ansätze, die in der Tradition des Paradigmas „Erst qualifizieren, dann platzieren“ stehen, sehen eine stufenweise Qualifizierung vor. Erst wenn verschiedene Stufen durchlaufen wurden, wird eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angestrebt (sogenanntes Stufenleiterprinzip der Rehabilitation). Hierunter lassen sich beispielsweise Arbeitstherapie, Praktika oder Bewerbungstrainings einordnen. Aber auch Bildungseinrichtungen wie die der Berufsförderungswerke oder der beruflichen Trainingszentren halten Strukturen vor, in denen Menschen mit psychischen Erkrankungen vorübergehend in einem geschützten Umfeld außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten können.
Das Erklimmen der einzelnen Stufen wird allerdings oft durch hohe Zugangsvoraussetzungen oder wenig passgenaue Übergänge erschwert. Die Betroffenen erleben dies nicht selten als demotivierend. Lernerfolge unter geschützten Bedingungen können zudem nicht unmittelbar auf einen realen Arbeitsplatz übertragen werden.
Prinzipien und Ziele der Unterstützten Beschäftigung
Einem umgekehrten Vorgehen folgt das Paradigma „Erst platzieren, dann qualifizieren“ mit seinem Ansatz des „Supported Employment“, der sogenannten Unterstützten Beschäftigung. Die Betroffenen erhalten, sofern sie ausreichend motiviert sind, ohne eine längere Vorbereitungszeit bereits in der Frühphase der Rehabilitation eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Zugleich werden sie dort durch spezialisierte Dienste, sogenannte Jobcoaches, unterstützt.
Ansätze nach diesem Prinzip haben ihren Ursprung in den USA. Dort wurden sie bereits in den 1980er Jahren entwickelt. Supported Employment richtet sich an Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. In den letzten Jahren sind auch Adaptationen für Menschen mit weniger schwerer Erkrankung, Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen oder beispielsweise auch für sehr junge Menschen mit erster Psychoseerfahrung entstanden.
Eine manualisierte und vielfach untersuchte Form liegt mit dem „Individual Placement and Support“ (IPS) vor, also der individualisierten Platzierung und Unterstützung. Robert E. Drake und Kollegen haben die Kernprinzipien von IPS in einer 2012 erschienenen Studie wie folgt beschrieben:
- Primäres Ziel ist eine dauerhafte und bezahlte Beschäftigung in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes.
- Voraussetzung ist der Wunsch der Teilnehmenden nach einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Keine interessierte Person wird aus Gründen der Rehabilitationsfähigkeit, der Erkrankungsform oder -schwere oder beispielsweise aufgrund von Substanzgebrauch oder Schwerbehinderung ausgeschlossen.
- Die Suche nach Beschäftigung ist an den Präferenzen der Teilnehmenden ausgerichtet.
- Die Suche nach Beschäftigung erfolgt rasch (in der Regel innerhalb von 30 Tagen).
- Medizinische und arbeitsrehabilitative Dienste werden eng miteinander verzahnt. Ein Jobcoach gehört gleichzeitig verschiedenen Teams an.
- Die Teilnehmenden werden in ihrer beruflichen Weiterentwicklung systematisch unterstützt.
- Die Teilnehmenden werden hinsichtlich Sozialversicherungsleistungen und finanzieller Hilfen beraten.
- Die Unterstützung am Arbeitsplatz erfolgt unbefristet und orientiert sich an den individuellen Bedarfen.
Supported Employment unterstützt auf diese Weise dabei, Wahlmöglichkeiten und Selbstbestimmung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und hohem Unterstützungsbedarf zu sichern, und eröffnet ihnen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe.
Studien belegen eine hohe Wirksamkeit von Supported Employment
Supported Employment ist international in vielen randomisierten und kontrollierten klinischen Studien (RCT – randomised controlled trial) untersucht worden. Diese Art von Studien gilt in der medizinischen Forschung als Goldstandard, wenn es darum geht, Wirksamkeit und Sicherheit einer Behandlung oder rehabilitativen Maßnahme zu beurteilen. RCTs stellen die beste Form klinischer Untersuchungen dar, um den Effekt einer Behandlung oder rehabilitativen Maßnahme auf ein definiertes Ereignis, zum Beispiel Beschäftigungsraten oder Verbesserung der Lebensqualität, zu analysieren, aber auch Nachteile oder Komplikationen zu untersuchen (siehe Infokasten).
Im Rahmen einer der letzten Metaanalysen zur Wirksamkeit von Supported Employment, die 2019 publiziert wurde, konnten Donald E. Frederick und Tyler J. VanderWeele insgesamt 30 RCTs einbeziehen. Die Ergebnisse der letzten Jahrzehnte zeigen nahezu stringent die Effektivität und damit die Überlegenheit dieses Handlungsansatzes gegenüber allen anderen untersuchten Formen der Arbeitsrehabilitation bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, wenn es um arbeitsbezogene Zielgrößen geht. Insbesondere gilt dies, wenn Supported Employment in der manualisierten Form des IPS durchgeführt wird.
In der Forschung besteht Konsens darüber, dass Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen unter der Bedingung von Supported Employment mindestens doppelt so hohe Raten kompetitiver Beschäftigung erzielen als bei alternativen beruflichen Rehabilitationsansätzen. Sie sind außerdem im Durchschnitt länger (mehr Wochen pro Jahr) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt; auch ihre monatliche Arbeitszeit und ihr monatlicher Verdienst sind im Schnitt höher. Ein solcher Ansatz und die Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt scheinen zudem die Zufriedenheit der Betroffenen, deren Lebensqualität und psychische Gesundheit zu erhöhen. Für Deutschland steht ein entsprechender Nachweis der Wirksamkeit von Supported Employment noch aus.
Psychisch kranke Menschen wünschen sich eine normale Beschäftigung
Der Großteil auch der schwer psychisch kranken Menschen möchte einen ganz normalen Arbeitsplatz. Nach einer Studie von Dorothea Jäckel und anderen aus dem Jahr 2020, für die 176 Patientinnen und Patienten in (teil-)stationärer Behandlung befragt wurden, gaben 71 Prozent der Befragten zwischen 18 und 65 Jahren, die zu diesem Zeitpunkt nicht in Ausbildung oder Beschäftigung waren, Arbeit als ein für sie relevantes Thema an.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Frank Oschmiansky und Sandra Popp in einer Studie, die bereits im Rahmen dieser Serie im IAB-Forum veröffentlicht wurde. Die überwiegende Mehrheit äußerte auch dort den Wunsch, lieber heute als morgen arbeiten zu wollen. Die Befragten gaben an, etwas erreichen, der Untätigkeit zu Hause entfliehen und ihr eigenes Geld verdienen zu wollen. Besonders groß war der Wunsch nach einer unbefristeten Tätigkeit. Die Befragten beschrieben ihre Erfahrungen mit befristeten Maßnahmen und der Unsicherheit, ob sie in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis übernommen werden oder nicht, als sehr frustrierend.
Mit dem Wunsch nach Beschäftigung gingen aber auch Ängste einher, den Anforderungen nicht gerecht zu werden und möglicherweise einen gesundheitlichen Rückfall zu erleiden. Viele der Befragten wünschten sich deshalb einen Ansprechpartner und Unterstützung vor Ort, um möglichen Problemen am Arbeitsplatz oder mit Vorgesetzten sowie Kolleginnen und Kollegen frühzeitig begegnen zu können. Sie äußerten unterschiedliche Vorstellungen und positive Erfahrungen; beispielsweise, dass Jobcoaches, Integrationsfachdienste sowie Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen durch eine persönliche Begleitung am Arbeitsplatz Rückhalt und Unterstützung bei einer (Wieder-)Eingliederung geben könnten.
Unterstützte Beschäftigung setzt sich in Deutschland nur langsam durch
Um die konzeptionelle Umsetzung von Supported Employment in Deutschland zu forcieren, wurde 1994 die Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte Beschäftigung gegründet. Obwohl Maßnahmen, die dem Stufenleiterprinzip verpflichtet sind, nach wie vor die Rehabilitationslandschaft in Deutschland beherrschen, etablieren sich auch das Konzept der Unterstützten Beschäftigung beziehungsweise Elemente daraus in den verschiedenen Angeboten zur beruflichen Teilhabe. Das betrifft beispielsweise Leistungen der Integrationsfachdienste, betriebliche Ausbildungskonzepte der Berufsbildungswerke, Übergangskonzepte der Werkstätten für behinderte Menschen, die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt führen, oder Integrationsfirmen.
Im Jahr 2008 wurde der Rechtsanspruch auf Unterstützte Beschäftigung im Sozialgesetzbuch IX (§ 55 SGB IX) verankert. Diese Maßnahme steht vor allem Menschen mit Behinderung und einem besonderen Unterstützungsbedarf, die einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz anstreben, zur Verfügung. Allerdings muss zwischen der gesetzlich verankerten Maßnahme und dem internationalen Konzept der Unterstützten Beschäftigung unterschieden werden.
Die Umsetzung der IPS-Kernprinzipien in den deutschen Versorgungskontext wird insbesondere durch sozialrechtliche Besonderheiten erschwert. Das betrifft beispielsweise die Einbindung der Jobcoaches in die Struktur eines multidisziplinären Behandlungsteams beziehungsweise die Möglichkeiten einer konsequenten Zusammenarbeit zwischen Jobcoaches und ärztlich-psychiatrischen, psychotherapeutischen, spezialtherapeutischen und pflegerischen Fachkräften über verschiedene Versorgungssettings hinweg. Das betrifft auch die zeitliche Limitierung des Jobchoachings, wie sie im § 55 SGB IX definiert wird.
Medizinische, psychosoziale und arbeitsintegrative Leistungen müssen gut miteinander verzahnt werden
Ein sogenanntes Jobcoaching, wie die Begleitung der Rehabilitandin oder des Rehabilitanden am Arbeitsplatz durch geschulte Fachkräfte bezeichnet wird, sieht auch das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§16i SGB II) vor, das seit 2019 erprobt wird. Es handelt sich dabei um einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt für maximal fünf Jahre.
Gefördert werden können Arbeitsverhältnisse bei privaten, öffentlichen und gemeinnützigen Arbeitgebern, wenn sie SGB-II-Leistungsberechtigte beschäftigen, die älter sind als 25 Jahre, bereits sehr lange arbeitslos sind und zudem zusätzlichen Herausforderungen bei der Integration in Beschäftigung gegenüberstehen wie gesundheitlichen Problemen oder fehlenden Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen. Grundsätzlich richtet sich diese Maßnahme damit auch an Menschen mit psychischer Erkrankung und komplexen Problemlagen in Verbindung mit langjähriger Arbeitslosigkeit.
Eine erste Evaluation der Maßnahme verweist laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales darauf, dass die Betroffenen neben der vergleichsweise hohen Förderdauer besonders schätzen, dass es sich um „echte“ sozialversicherungspflichtige Arbeit handelt. Die Evaluation des Beschäftigungszuschusses hat gezeigt, dass geförderte Beschäftigung das Teilhabeempfinden der Teilnehmenden verbessern kann. Mit Blick auf die besondere Zielgruppe psychisch kranker Menschen wird es zukünftig darauf ankommen, wie medizinisch erforderliche sowie psychosoziale und arbeitsintegrative Leistungen gut miteinander verzahnt werden können.
Mit dem Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“ gemäß § 11 SGB IX, das Modellvorhaben zur Stärkung der Rehabilitation fördert, setzt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) genau an dieser Schnittstelle an. Ziel des Bundesprogramms rehapro ist es, innovative Leistungen und organisatorische Prozesse im Hinblick auf den Erhalt oder die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erproben und zu evaluieren. Dabei wird explizit die Zusammenarbeit der Akteure aus den Bereichen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation in den Blick genommen. In diesem Rahmen werden bisher 40 Projekte gefördert, deren Zielgruppe psychisch kranke Menschen sind.
An einem dieser Projekte sind auch die Autorinnen dieses Beitrages beteiligt: das vom Jobcenter Leipzig in Auftrag gegebene Projekt „Leipziger Individual Placement and Support für psychisch erkrankte Menschen“. Zielgruppe sind Menschen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen und psychische Auffälligkeiten aufweisen. Mithilfe eines standardisierten Screenings sollen die Teilnehmenden dem festgestellten Schweregrad ihrer Erkrankung gemäß gezielt in das medizinische Versorgungssystem gelotst werden. Parallel zur zeitnahen medizinischen Unterstützung sollen die Teilnehmenden durch ein gezieltes Jobcoaching bereits während des Genesungsprozesses aktiv in den Arbeitsmarkt begleitet und bei einer Arbeitsaufnahme unterstützt werden.
Wie Katarina Stengler und andere jüngst berichteten, hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) eine Taskforce gegründet, um auf Basis internationaler Evidenz Qualitätsparameter für Supported Employment zu erarbeiten, spezifische Hindernisse in Deutschland bei der Implementierung aufzuzeigen und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Damit wird die in den letzten Jahren breite Fachdiskussion zur Übertragbarkeit von Supported Employment auf den hiesigen Versorgungsalltag unter den gegebenen Voraussetzungen aufgegriffen und fortgeführt.
Fazit
Der Großteil auch der schwer psychisch kranken Menschen wünscht sich einen normalen Arbeitsplatz; viele von ihnen wünschen sich gleichzeitig eine direkte Unterstützung vor Ort. Ansätze, die in der Tradition des Paradigmas „Erst platzieren, dann qualifizieren“ stehen, sehen eine rasche Vermittlung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden auf einen Arbeitsplatz des allgemeinen Arbeitsmarktes vor. Dort werden sie professionell begleitet, qualifiziert und unterstützt, wenn Probleme mit Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen auftreten. Die unmittelbare Unterstützung am Arbeitsplatz soll die Erweiterung arbeitsplatzspezifischer Kompetenzen fördern, möglichen Krisen vorbeugen und Ängste vor Überforderung minimieren.
Die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit des internationalen Konzepts, welches gemeinhin unter dem Namen „Supported Employment“ (Unterstützte Beschäftigung) bekannt ist, zeigt vergleichsweise hohe Beschäftigungsraten und eine höhere Beschäftigungsdauer. Supported Employment ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch; zumindest lassen sich zentrale Elemente in vielen der etablierten Maßnahmen finden.
Das BMAS fördert derzeit in mehreren Projekten die hierfür erforderliche Kooperation zwischen verschiedenen Leistungsträgern und -erbringern. Denn erst die enge Abstimmung zwischen allen an der Behandlung und Rehabilitation Beteiligten wird den komplexen Bedarfen schwer psychisch kranker Menschen gerecht.
Literatur
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2020): Erfolgreiche Bilanz nach einem Jahr Teilhabechancengesetz. 30.01.2020.
Drake, Robert E.; Bond, Gary R.; Becker, Deborah R. (2012): IPS supported employment: an evidence-based approach to supported employment. New York: Oxford University Press.
Frederick, Donald E.; VanderWeele, Tyler J. (2019): Supported employment: Meta-analysis and review of randomized controlled trials of individual placement and support. PLoS ONE 14(2): e0212208.
Jäckel, Dorothea; Siebert, Stefan; Baumgardt, Johanna; Leopold, Karolina; Bechdolf, Andreas (2020): Arbeitsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen und Unterstützungsbedarf von Patienten in der (teil-)stationären psychiatrischen Versorgung. In: Psychiatr Prax 47(05), S. 235–241.
Stengler, Katarina; Bechdolf, Andreas; Becker, Thomas; Döring, Angela; Höhl, Werner; Jäckel, Dorothea; Kilian, Heiko; Theißing, Annette; Torhorst, Arnold; Wirtz, Gustav; Zeidler, Robert; Riedel-Heller, Steffi G. (2021): Umsetzung der Prinzipien des Supported Employment in Deutschland. In: Positionspapier einer Task-Force der DGPPN. Der Nervenarzt 92, S. 955–962.
erschienen in: “Psychisch Erkrankte im SGB II: Situation und Betreuung” des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 6. Dezember 2021