Ende Februar 2022, also kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, lebten nach Angaben des Ausländerzentralregisters (AZR) etwa 155.000 Staatsangehörige aus der Ukraine in Deutschland. Im Mai 2022 waren bereits fast eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer im AZR registriert. Dies entspricht einem durchschnittlichen Anstieg von rund 270.000 Personen pro Monat. Ab Juni 2022 nahm ihre Zahl zwar immer noch deutlich zu. Der Anstieg fiel aber mit durchschnittlich rund 30.000 Personen pro Monat bis Dezember 2022 geringer aus als in den ersten Monaten nach Ausbruch des Krieges. Bis Ende Dezember 2022 waren rund 1,2 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer im AZR registriert (siehe Abbildung 1).
Ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung in Deutschland sind Frauen und Kinder. Die Summe der Anteile der Kinder unter 15 Jahren und der Frauen ab 15 Jahren lag im Dezember 2022 bei fast 80 Prozent. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte sein, dass ukrainische Männer im wehrfähigen Alter von 18 bis 60 Jahren seit Ausbruch des Krieges einer Ausreisesperre unterliegen, die nur in Ausnahmefällen ausgesetzt werden kann.
Fast zwei Drittel der hier lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer waren im Oktober 2022 in der Grundsicherung erfasst
Seit dem 1. Juni 2022 können Geflüchtete aus der Ukraine Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten (siehe Infokasten „Regelungen für Geflüchtete aus der Ukraine“). Die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer unter 65 Jahren, die Grundsicherung beziehen, stieg von Februar bis Oktober 2022, dem letzten Monat, für den derzeit Daten vorliegen, von rund 17.000 auf gut 654.000 Personen (siehe Tabelle 1). Im Oktober vergangenen Jahres bezogen also 62 Prozent der im AZR registrierten ukrainischen Staatsangehörigen unter 65 Jahren Leistungen der Grundsicherung.
Auch bei Geflüchteten, die 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen waren, bewegte sich der Anteil der Grundsicherungsbeziehenden in einer vergleichbaren Größenordnung. Allerdings gibt es diverse Unterschiede in den institutionellen Rahmenbedingungen sowie in Art, Umfang und Struktur der Fluchtbewegungen, sodass ein direkter Vergleich schwierig ist.
Unter den ukrainischen Staatsangehörigen, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, ist die Zahl der Frauen im erwerbsfähigen Alter zwischen Februar und Oktober 2022 mit Abstand am stärksten gestiegen: Sie wuchs um rund 306.000 Personen, bei Männern um gut 113.000 Personen. Bei Kindern unter 15 Jahren betrug der Zuwachs fast 220.000 Personen und war für Jungen wie Mädchen ähnlich. Insgesamt entspricht die demografische Struktur im AZR weitgehend der in der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wobei der Anteil der Kinder unter 15 Jahren in der Grundsicherung etwas höher liegt.
Über die Hälfte der erwerbsfähigen ukrainischen Staatsangehörigen in der Grundsicherung hat Kinder
Um das Arbeitsmarktpotenzial von ukrainischen Staatsangehörigen in der Grundsicherung einschätzen zu können, werden im Folgenden erwerbsfähige Personen zwischen 15 und 64 Jahren betrachtet. Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei den in Deutschland lebenden ukrainischen Staatsangehörigen mehrheitlich um Frauen und Kinder. Das spiegelt sich auch in der Struktur der erwerbsfähigen ukrainischen Staatsangehörigen in der Grundsicherung wider (siehe Tabelle 2): Knapp ein Drittel war im Oktober 2022 in Deutschland als alleinstehend registriert, knapp 36 Prozent mit einem Partner. Der Anteil der alleinerziehenden Frauen lag bei gut 30 Prozent. Er war damit fast doppelt so hoch wie in der Grundsicherung insgesamt mit 16 Prozent.
Mehr als die Hälfte der erwerbsfähigen Grundsicherungsbeziehenden aus der Ukraine hat Kinder. Damit spielt die Kinderbetreuung eine entscheidende Rolle für die Möglichkeiten ihrer Arbeitsmarktintegration. Die Hälfte (55 Prozent) der Erwerbsfähigen mit Kindern hat ein Kind, was die Organisation der Kinderbetreuung unter Umständen weniger komplex gestaltet als bei mehreren Kindern.
Bei der Beschäftigungsaufnahme waren Unterschiede nach Geschlecht in der Vergangenheit geringer als bei ausländischen Leistungsbeziehenden insgesamt
Alter, Geschlecht und Haushaltskonstellation von Grundsicherungsbeziehenden stehen in einem engen Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigungsaufnahme. Aktuelle Daten, mit denen untersucht werden kann, welche Merkmale eine Arbeitsaufnahme der neu in die Grundsicherung gekommenen ukrainischen Staatsangehörigen begünstigen oder hemmen, liegen noch nicht vor. Im Folgenden wird daher aufgezeigt, wie sich die entsprechenden Zusammenhänge für die Vergangenheit empirisch darstellen.
Zunächst bestätigt sich der bekannte negative Zusammenhang zwischen Lebensalter und Beschäftigungsaufnahme (siehe Abbildung 2). Dieser wurde bereits in verschiedenen Studien, etwa in einem 2016 erschienenen IAB-Kurzbericht von Jonas Beste und Mark Trappmann festgestellt. Insbesondere Leistungsbeziehende im Alter von über 44 Jahren haben im Vergleich zur Altersgruppe von 35 bis 44 Jahren eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit, nach einem Jahr in einer Beschäftigung zu sein.
Weibliche Leistungsbeziehende haben zudem etwas geringere Beschäftigungschancen als Männer. Bei ausländischen Leistungsbeziehenden insgesamt ist dieser Unterschied noch wesentlich größer. Bei der Haushaltskonstellation (Bedarfsgemeinschaftstyp) hingegen sind die Unterschiede geringer. Nur Leistungsbeziehende aus Paarhaushalten mit Kindern haben im Vergleich zu Alleinstehenden in der Gruppe aller Ausländer eine etwas geringe Wahrscheinlichkeit der Beschäftigungsaufnahme.
Die Altersstruktur der 2022 neu in der Grundsicherung erfassten Ukrainerinnen und Ukrainer erscheint im Hinblick auf deren Arbeitsmarktintegration eher günstig. Gut 70 Prozent der Erwerbsfähigen sind unter 45 Jahre – gegenüber 63 Prozent bei allen Erwerbsfähigen in der Grundsicherung. Auch die Erwerbsneigung der neu in der Grundsicherung erfassten Ukrainerinnen ist möglicherweise höher als bei früheren weiblichen Schutzsuchenden.
Zu beachten ist allerdings, für eine bedarfssichernde Beschäftigungsaufnahme der Typ der Bedarfsgemeinschaft eine große Rolle spielt. So ist es für Alleinerziehende schwieriger, mit einer Beschäftigung die Grundsicherung zu verlassen, da das Erwerbseinkommen für mehrere Personen ausreichen muss. Weil rund ein Drittel der neu in der Grundsicherung erfassten Ukrainerinnen und Ukrainer alleinerziehend ist, mag die Beschäftigungsperspektive dieser Gruppe zunächst häufig im Bereich nicht bedarfssichernder (Teilzeit-)Beschäftigung liegen.
Fazit
Neben dem eher niedrigen Durchschnittsalter könnte sich auch das Niveau der formalen Qualifikation positiv auf die Perspektiven der neu angekommenen Geflüchteten aus der Ukraine auswirken. So zeigt eine kürzliche veröffentlichte Befragung, dass der Anteil an Absolventinnen und Absolventen von Hochschulen mit 72 Prozent im Vergleich zur ukrainischen Gesamtbevölkerung hoch ausfällt. 83 Prozent haben mindestens einen beruflichen Abschluss, ähnlich wie bei der in Deutschland lebenden Bevölkerung insgesamt (lesen Sie dazu den IAB-Forschungsbericht 24/2022).
Über individuelle Merkmale hinaus, sind zudem die institutionellen Rahmenbedingungen insgesamt günstiger als in der Vergangenheit. Durch die erstmalige Aktivierung der EU-Massenzustrom-Richtlinie sind die Voraussetzungen des Arbeitsmarktzugangs für die ukrainischen Geflüchteten besser als bei früheren Kohorten von Geflüchteten (siehe Infokasten „Regelungen für Geflüchtete aus der Ukraine“).
Hinzu kommt, dass hilfebedürftige Geflüchtete aus der Ukraine in der Grundsicherung für Arbeitssuchende schon früh durch das zuständige Jobcenter betreut werden. Damit stehen ihnen die gleichen Förderinstrumente zur Verfügung wie anderen Leistungsberechtigten. Sie können aber auch zur Arbeitsuche verpflichtet werden. Die Betroffenen dürften außerdem davon profitieren, dass es im Vergleich zu den Jahren 2015/2016 mehr Erfahrung und eine breitere Infrastruktur bei der Betreuung von Geflüchteten gibt.
Eine nachhaltige Integration in die deutsche Gesellschaft und den Arbeitsmarkt erfordert allerdings auch persönliche Anstrengungen, etwa beim Erwerb von Deutschkenntnissen (lesen Sie dazu den IAB-Kurzbericht 5/2019). Die Bereitschaft, entsprechend zu investieren, steigt mit der Bleibeperspektive, welche wiederum vom Verlauf und dem Ausgang des Krieges abhängen dürfte. In der oben bereits genannten Befragung von Geflüchteten aus der Ukraine gaben 34 Prozent an, nach Kriegsende wieder zurückkehren zu wollen, 27 Prozent waren sich nicht sicher und 37 Prozent können sich vorstellen, mehrere Jahre oder länger in Deutschland zu bleiben.
Bevor sie jedoch die Potenziale ausschöpfen können, die der deutsche Arbeitsmarkt bietet, stehen zunächst die Ankunft und Suche nach einer Unterkunft beziehungsweise die humanitäre Versorgung im Vordergrund. Ein schneller Einstieg in den Arbeitsmarkt über ungelernte Berufe führt allerdings nicht immer zu einer besseren und nachhaltigeren Integration. So kann eine längere Investitionsphase vor dem Berufseinstieg, etwa bedingt durch die Teilnahme an Sprachkursen und Weiterbildungen, die Aufnahme einer ausbildungsadäquaten Beschäftigung begünstigen und somit die langfristigen Perspektiven deutlich verbessern.
Regelungen für Geflüchtete aus der Ukraine
Infolge des Angriffskrieges auf die Ukraine haben die EU-Staaten am 4. März 2022 erstmals die sogenannte EU-Massenzustrom-Richtline (2001/55/EG) aktiviert. Diese bietet einen unkomplizierten und schnellen Mechanismus für eine EU-weite Aufnahme einer großen Zahl von Geflüchteten, ohne dass ein langwieriges Asylverfahren durchlaufen werden muss. Der Schutzstatus gilt zunächst für ein Jahr, kann aber auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Die Richtlinie sieht darüber hinaus bestimmte Mindeststandards vor. Dazu gehören eine angemessene Unterbringung, Zugang zum Arbeitsmarkt, Zugang zu Sozialleistungen und medizinischer Versorgung sowie dem Bildungssystem und die Möglichkeit der Familienzusammenführung.
In Deutschland wurde die Massenzustrom-Richtlinie durch § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) umgesetzt. Demnach erhielten Geflüchtete Menschen aus der Ukraine zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Bei einem Treffen des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 7. April 2022 wurde beschlossen, dass hilfebedürftige Geflüchtete aus der Ukraine finanziell wie anerkannte hilfsbedürftige Asylsuchende unterstützt werden sollen. Sie erhalten demnach Leistungen nach dem Zweiten beziehungsweise Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II bzw. SGB XII). Voraussetzungen hierfür sind, dass ein Antrag auf vorübergehenden Schutz gestellt wurde, die Erfassung im Ausländerzentralregister und die sonstigen Voraussetzungen für Grundsicherungsleistungen erfüllt sind. Die Regelung ist am 1. Juni 2022 in Kraft getreten.
In aller Kürze
- Seit Juni 2022 können Geflüchtete aus der Ukraine bei Hilfebedürftigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beantragen.
- Bis Oktober 2022 waren 654.000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Alter unter 65 Jahren in der Grundsicherung registriert, darunter gut 80 Prozent Frauen und Kinder.
- Unter den erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden hatten über die Hälfte Kinder, ein Drittel ist alleinerziehend.
- Trotz bestehender Herausforderungen bei der Integration und Versorgung, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung, sprechen sowohl die Alters- und Qualifikationsstruktur als auch die institutionellen Rahmenbedingungen für tendenziell günstige Arbeitsmarktperspektiven.
Literatur
Bähr, Sebastian; Beste, Jonas; Wenzig, Claudia (2019): Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Syrern und Irakern im SGB II: Gute Sprachkenntnisse sind der wichtigste Erfolgsfaktor. IAB-Kurzbericht Nr. 5.
Beste, Jonas; Trappmann, Mark (2016): Erwerbsbedingte Abgänge aus der Grundsicherung: Der Abbau von Hemmnissen macht’s möglich. IAB-Kurzbericht Nr. 21.
Brücker, Herbert; Ette, Andreas; Grabka, Markus M.; Kosyakova, Yuliya; Niehues, Wenke; Rother, Nina; Spieß, C. Katharina; Zinn, Sabine; Bujard, Martin; Cardozo, Adriana; Décieux, Jean Philippe; Maddox, Amrei; Milewski, Nadja; Naderi, Robert; Sauer, Lenore; Schmitz, Sophia; Schwanhäuser, Silvia; Siegert, Manuel; Tanis, Kerstin (2022a): Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland: Flucht, Ankunft und Leben. IAB-Forschungsbericht Nr. 24.
Mediendienst Integration (2022): Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland. In: mediendienst-integration.de
erschienen am 22. Februar 2023 als Beitrag von Kerstin Bruckmeier, Katrin Hohmeyer, Sekou Keita und Andreas Hauptmann im IAB-Forum