Drei Jahre Teilhabechancengesetz – ein Blick zurück und nach vorn aus Sicht der IAB-Forschung

Seit Jahresbeginn 2019 ist das sogenannte Teilhabechancengesetz in Kraft. Damit stehen den Jobcentern in Deutschland zwei neue Instrumente zur Verfügung. In beiden Fällen handelt es sich um Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber, die arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende einstellen:

  • Teilhabe am Arbeitsmarkt, kurz TaAM (§ 16i SGB II): Dieses Instrument richtet sich an Personen, die in den letzten sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang Arbeitslosengeld II bezogen haben und – wenn überhaupt – nur kurzzeitig erwerbstätig waren. In den ersten beiden Jahren erhalten Arbeitgeber einen Zuschuss von 100 Prozent zum Mindestlohn beziehungsweise bei tarifgebundenen Betrieben zum entsprechenden Arbeitsentgelt, in jedem weiteren Jahr wird dieser Zuschuss um 10 Prozentpunkte gekürzt – bis zu einer Förderdauer von fünf Jahren.
  • Eingliederung von Langzeitarbeitslosen, kurz EVL (§16e SGB II): Arbeitgeber erhalten für die Beschäftigung von Leistungsberechtigten, die seit mindestens zwei Jahren arbeitslos sind, einen Lohnkostenzuschuss für 24 Monate: im ersten Jahr in Höhe von 75 Prozent und im zweiten Jahr in Höhe von 50 Prozent des  Arbeitsentgelts.

Mit Hilfe der beiden Instrumente möchte man den Geförderten den – ansonsten aller Voraussicht nach kaum erreichbaren – Zugang zum Erwerbsleben eröffnen. Dadurch sollen auch ihre Beschäftigungschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbessert werden. Während bei EVL der möglichst zeitnahe Übergang in ungeförderte Beschäftigung im Vordergrund steht, soll dieses Ziel im Falle von TaAM eher mittel- bis langfristig erreicht werden. Allerdings geht es bei diesem Instrument zuvorderst darum, die gesellschaftliche Teilhabe der Geförderten zu verbessern. Damit spricht man insbesondere die Gruppe der sehr arbeitsmarktfernen Menschen an, die auch langfristig kaum Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Flankiert werden beide Instrumente mit einer – etwas vereinfacht als Coaching bezeichneten – „ganzheitlichen beschäftigungsbegleitenden Betreuung“, die von den Jobcentern oder von beauftragten Trägern erbracht werden kann. Die Betreuung soll die Geförderten vor allem bei betrieblichen und privaten Problemen unterstützen.

Das IAB hat im Rahmen der Wirkungsforschung nach § 55 SGB II die wissenschaftliche Evaluation der beiden Instrumente übernommen. Im Fokus der seit 2019 laufenden Studie stehen die Umsetzung durch die Jobcenter, der betriebliche Einsatz der Instrumente sowie ihre Wirkung auf Arbeitsmarktchancen, Beschäftigungsfähigkeit und soziale Teilhabe der Geförderten.

Erste Befunde der Evaluation wurden im Frühjahr 2021 als IAB-Forschungsbericht 3/2021 veröffentlicht. Der Abschlussbericht wird Ende 2023 dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales übergeben und erscheint voraussichtlich Anfang 2024. Seit Veröffentlichung des Zwischenberichts hat das IAB eine Vielzahl an weiteren empirischen Befunden zum Teilhabechancengesetz zu Tage gefördert. Sie werden der interessierten Fachöffentlichkeit in den nächsten Wochen und Monaten in der Serie „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und Teilhabe am Arbeitsmarkt“ im IAB-Forum präsentiert.

Bislang vorliegende Zwischenergebnisse stimmen vorsichtig optimistisch

Im Rahmen der Evaluation untersucht das IAB die Umsetzung und Wirkung beider Instrumente, widmet dem Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ aber ein besonderes Augenmerk. Denn nicht nur die Förderzahlen sind mit einem Bestand von 42.200 (März 2022) im Vergleich zu 8.400 Förderfällen beim Instrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ deutlich höher (siehe Abbildung). Auch in puncto Förderhöhe und Förderdauer unterscheiden sich die beiden Instrumente erheblich, da mit dem Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ eine besonders arbeitsmarktferne Zielgruppe erreicht werden soll. Entsprechend hoch sind die staatlichen Zuschüsse an öffentliche und gemeinnützige, aber eben auch an privatwirtschaftliche Arbeitgeber.

Die Abbildung zeigt, wie sich die Zugangs- und Bestandszahlen der Förderinstrumente „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ sowie „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zwischen Januar 2019 und Juni 2022 entwickelt haben. Der Bestand an geförderten Personen stieg bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen bis Anfang 2021 auf etwa 12.000 Personen und sank danach wieder auf etwa 9.000. Bei der Teilhabe am Arbeitsmarkt sind es hingegen noch immer deutlich über 40.000 Geförderte. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Die Große Koalition hatte sich seinerzeit darauf verständigt, das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zunächst bis Ende 2024 zu befristen und erst im Lichte der wissenschaftlichen Evaluationsergebnisse über eine Verstetigung zu entscheiden. Die neue Bundesregierung hat das geplante Verfahren abgekürzt und sich im Koalitionsvertrag auf eine vorzeitige Entfristung verständigt. Es ist denkbar, dass diese Entscheidung dem Gesetzgeber bereits mit dem im Herbst dieses Jahres anstehenden Gesetzgebungsverfahren zur Einführung eines Bürgergeldes zur Abstimmung vorgelegt wird.

Auch wenn der Abschlussbericht der Evaluation erst zum Jahresende 2023 vorliegen wird, stimmen die bereits vorhandenen Zwischenergebnisse tendenziell optimistisch. Sie liefern sowohl wichtige Hinweise zur bisherigen praktischen Umsetzung als auch Ansatzpunkte für eine gezielte Weiterentwicklung der Instrumente. Beides wird im Folgenden kurz skizziert.

Die Jobcenter sehen in dem Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ eine wichtige Weiterentwicklung für die Unterstützung von langzeitarbeitslosen Menschen

Aus Sicht der befragten Jobcenter schließt das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ eine Lücke im SGB II, die im Grunde bereits seit Abschaffung des Beschäftigungszuschusses im Jahr 2012 besteht. Die befragten Jobcenter sind sich im Wesentlichen darüber einig, dass nunmehr für besonders arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte wieder eine geeignete Form der geförderten Beschäftigung besteht.

Unterschiedliche Akzente setzen die Jobcenter jedoch bei der Nutzung des Instruments. Ein Teil der in der Erhebung einbezogenen Jobcenter sieht das Instrument primär als potenzielles Sprungbrett für die spätere Aufnahme einer ungeförderten Beschäftigung. Ein anderer Teil möchte damit vordringlich die soziale Teilhabe der Betroffenen stärken und macht sich damit letztlich die Förderidee eines Sozialen Arbeitsmarkts zu eigen. Das jeweilige Verständnis hat erkennbare Konsequenzen für die praktische Umsetzung des Instruments. Dies zeigt sich unter anderem bei der Auswahl der Geförderten. So berichten Jobcenter, die mit dem Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ im Wesentlichen auf die Arbeitsmarktintegration der geförderten Leistungsberechtigten abzielen, dass die Arbeitsmarktnähe der Förderkandidaten und damit ihre Eignung für eine potenzielle Anschlussbeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle bei der Auswahl darstellt.

Keine Hinweise gibt es jedoch darauf, dass dadurch die gesetzlichen Vorgaben zur Zielgruppe des Instruments aufgeweicht würden. Ohnehin stehen die beobachteten Unterschiede im Verständnis der Förderung nicht im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers. Denn dieser verfolgt mit dem Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ gleich drei verschiedene, sich inhaltlich keineswegs ausschließende Ziele: Wie im Gesetz dargelegt, sollen sowohl die Teilhabechancen der Geförderten als auch deren Beschäftigungsfähigkeit sowie deren Arbeitsmarktchancen verbessert werden.

Die Zugangskriterien der Förderung werden weitgehend erreicht, relevante Teilgruppen bleiben aber unterrepräsentiert

Positiv zu bewerten ist, dass die gesetzlich definierten Zugangskriterien beider Instrumente – ungeachtet der zuvor berichteten Selektion innerhalb der Gruppe der Förderberechtigten durch einige Jobcenter – weitgehend eingehalten werden. Im Falle des Instruments „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ gilt dies insbesondere für Personen ohne jegliche Erwerbsbeteiligung in den sieben Jahren vor Förderbeginn. Insgesamt konnten somit Fehlzuweisungen von arbeitsmarktnahen Leistungsberechtigten vermieden werden, wie sie etwa bei seinem Vorgänger, dem “Beschäftigungszuschuss”, zu beobachten waren. Das Instrument scheint insoweit also durchaus im beabsichtigten Sinne eingesetzt zu werden.

Die Analysen der Zugänge in die Förderung machen aber auch deutlich, dass die Zuweisungspraxis mit Blick auf bestimmte Teilgruppen unter den Leistungsberechtigten noch geschärft werden sollte. So fällt auf, dass insbesondere Frauen (vor allem beim Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“) sowie Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und solche ohne Berufsabschluss in der Gruppe der Geförderten unterrepräsentiert sind. Der relativ geringe Förderanteil von Frauen ist zwar keine Besonderheit des Teilhabechancengesetzes, sondern ein gerade bei betriebsnahen Förderinstrumenten durchaus verbreitetes Phänomen. Trotzdem – oder gerade deswegen – sollte den Ursachen nachgegangen und die Anstrengungen weiter erhöht werden, um die geschlechtsspezifischen Zugangschancen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik stärker anzugleichen. Gleiches gilt für die beiden anderen Teilgruppen von Leistungsberechtigten, die schlechtere Zugangschancen aufweisen.

Der Bedarf an beschäftigungsbegleitender Betreuung ist hoch, ihre praktische Umsetzung mitunter jedoch verbesserungswürdig

Eine zentrale konzeptionelle Neuerung des Teilhabechancengesetzes ist die sogenannte “ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung”. Denn Menschen, die nach langer Arbeitslosigkeit wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen, haben häufig einen arbeits- wie lebensweltlichen Unterstützungsbedarf. Dies war schon bei der Evaluation des Beschäftigungszuschusses deutlich geworden.

Vorrangig soll die ganzheitliche Betreuung zur Bewältigung betrieblicher und persönlicher Probleme beitragen und dadurch die geförderte Beschäftigung stabilisieren. Zugleich sind die Betreuerinnen und Betreuer angehalten, Qualifizierungsmöglichkeiten für die Geförderten auszuloten und sie bei der Suche und Aufnahme einer ungeförderten Anschlussbeschäftigung zu unterstützen.

Sowohl die Geförderten als auch ihre Betreuerinnen und Betreuer und ihre Arbeitgeber nehmen die Betreuung als hilfreich wahr, was die Bewältigung lebensweltlicher wie betrieblicher Herausforderungen betrifft. Insofern bestätigen die bisherigen Befunde die Beobachtungen aus vorangegangenen Landes- und Bundesprogrammen, in denen bereits ähnliche Ansätze erprobt wurden.

Die Umsetzungspraxis der beschäftigungsbegleitenden Betreuung beim Teilhabechancengesetz wird hingegen dem vorhandenen Unterstützungsbedarf nicht durchgängig gerecht. Vielmehr sieht das IAB gerade hier die Notwendigkeit einer Feinjustierung und Weiterentwicklung. So sollte sowohl die zeitliche als auch die persönliche Kontinuität des Betreuungsverhältnisses stärker als bisher sichergestellt sein. Denn dies ist die notwendige Voraussetzung für ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis zwischen dem Geförderten und seinem Betreuer.

Außerdem sollte ein stärkeres Augenmerk auf die Fachlichkeit der Betreuerinnen und Betreuer gelegt werden, die sich vor allem auf eine professionelle und methodisierte Praxis des Helfens bezieht.  Diese reicht nach Einschätzung des IAB nicht immer aus, um die Betroffenen mit ihren vielfältigen Problemlagen adäquat zu unterstützen. Hier rät das IAB zu einer regelmäßigen qualifizierten Supervision und einem kontinuierlichen kollegialen Austausch der Betreuungskräfte.

Ausblick

Die Einführung des Instruments „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ist nach Abschaffung des Beschäftigungszuschusses im Jahr 2012 der zweite Versuch, den – häufig als “Sozialen Arbeitsmarkt”  bezeichneten – Ansatz der Teilhabeverbesserung durch geförderte Beschäftigung im Regelinstrumentarium der Grundsicherung und damit in der arbeitsmarktpolitischen Praxis der Jobcenter zu verankern. Anders als beim ersten Versuch stehen die Zeichen dieses Mal auf eine dauerhafte Etablierung des Instruments und der damit verbundenen Unterstützungsmöglichkeiten für besonders arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte.

Die Bundesregierung hat sich, wie eingangs bereits erwähnt, in ihrem Koalitionsvertrag auf eine vorzeitige Entfristung der Förderung nach § 16i SGB II verständigt. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen zwar Forschungsergebnisse vor, die nahelegen, dass der Einsatz der beiden Instrumente durchaus zielgruppenadäquat erfolgt. Für eine abschließende Bewertung der Maßnahmen stehen jedoch noch belastbare Forschungsbefunde aus. Dies betrifft insbesondere zentrale Aspekte der Wirkungen auf die Arbeitsmarktchancen, auf die Beschäftigungsfähigkeit und auf die soziale Teilhabe der Geförderten. Aber auch zu etwaigen Nebenwirkungen in Form von Mitnahme- und Verdrängungseffekten stehen abschließende Ergebnisse noch aus. Zudem laufen derzeit noch Befragungen der Jobcenter. Diese sollen breiter abgesicherte Aussagen darüber erlauben, wie diese die Instrumente umsetzen und bewerten. Aus Forschungssicht wäre es sehr wichtig, diese Befunde bei der Weiterentwicklung der dann bereits auf Dauer gestellten Instrumente zu berücksichtigen. Denn auf dieser Basis kann deren Umsetzung in der Praxis und deren Effektivität – und damit auch deren Teilhabewirkung für die Geförderten – weiter verbessert werden.

erschienen im IAB-Forum am 26. Juli 2022, Autoren: Philipp Ramos Lobato & Martin Dietz

Literatur

Bauer, Frank; Bennett, Jenny; Coban, Mustafa; Dietz, Martin; Friedrich, Martin; Fuchs, Philipp; Gellermann, Jan; Globisch, Claudia; Gottwald, Markus; Gricevic, Zbignev; Hülle, Sebastian; Kiesel, Markus; Kupka, Peter; Nivorozhkin, Anton; Promberger, Markus; Raab, Miriam; Ramos Lobato, Philipp; Schmucker, Alexandra; Stockinger, Bastian; Trappmann, Mark; Wenzig, Claudia; Wolff, Joachim; Zabel, Cordula; Zins, Stefan (2021): Evaluation der Förderinstrumente nach §16e und §16i SGB II – Zwischenbericht. IAB-Forschungsbericht Nr. 3.

Gottwald, Markus; Globisch, Claudia; Kupka, Peter; Ramos Lobato, Philipp (2020): Soziale Teilhabe und geförderte Beschäftigung: Deutungshorizonte und Umsetzungsperspektiven des Teilhabechancengesetzes. In: Sozialer Fortschritt, Vol. 69, Nr. 12, S. 773-795.

Lietzmann, Torsten; Ramos Lobato, Philipp; Trappmann, Mark; Unger, Stefanie (2019): Leistungsberechtigte mit gesundheitlichen Einschränkungen: Nicht jeder ist erwerbsfähig (Serie „Zukunft der Grundsicherung“). In: IAB-Forum, 18.09.2019.