Erwerbsfähige Leistungsberechtigte können sanktioniert werden, wenn sie gegen die ihnen obliegenden Pflichten verstoßen. Sanktionen können sich allerdings negativ auf die Qualität der aufgenommenen Beschäftigung auswirken und damit eine nachhaltige Erwerbsintegration erschweren. Eine neue IAB-Studie zeigt, dass solche Auswirkungen langfristig Bestand haben: Rund fünf Jahre nach der Sanktionierung ist die Beschäftigungsqualität bei Sanktionierten geringer als bei nicht Sanktionierten.
Für Menschen, die Arbeitslosengeld II (ALG II) – besser bekannt als „Hartz IV“ – beziehen, bedeutet eine Sanktion, zumindest zeitlich begrenzt, ein Leben unter dem gesetzlich definierten Existenzminimum. Wenig verwunderlich also, dass solche Kürzungen oder gar Streichungen von Leistungen immer wieder im Zentrum politischer Debatten stehen.
Im Sozialgesetzbuch II (SGB II) sind Sanktionen eines der zentralen Instrumente, mithilfe derer der Gesetzgeber das Prinzip des „Forderns“ durchsetzt: Im Gegenzug für die Leistungen müssen ALG-II-Beziehende alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. So müssen sie vorgegebene Pflichten erfüllen, beispielsweise nach Arbeit zu suchen, an Maßnahmen teilzunehmen oder eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Zumutbar ist grundsätzlich jede Arbeit, auch wenn diese nicht der früheren beruflichen Tätigkeit entspricht.
Liegen Terminversäumnisse vor, wenn zum Beispiel ein Vermittlungsgespräch nicht wahrgenommen wird, verhängt das Jobcenter für drei Monate eine Leistungskürzung um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs. Der maßgebende Regelbedarf entspricht dem Betrag, den Beziehende von ALG II für Alltagsbedarfe erhalten, wenn sie über keine weiteren Einkünfte verfügen. Bei einer Verletzung weitergehender Pflichten, zum Beispiel der Arbeitsuche, fällt die Minderung deutlich höher aus.
Bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im November 2019 hing die Höhe der Leistungsminderung vom Alter des Leistungsbeziehenden sowie von der Art und Anzahl der Regelverstöße innerhalb eines Jahres ab. Bei über 25-Jährigen kürzte das Jobcenter die Leistungen für den alltäglichen Bedarf für drei Monate um 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs, wenn es sich um die erste Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres handelte.
Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 5. November 2019 die bis dahin geltenden Sanktionsregeln in Teilen als verfassungswidrig eingestuft. Mit neuen Fachlichen Weisungen hat die Bundesagentur für Arbeit in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales Regelungen für den Übergangszeitrum bis zu einer noch ausstehenden gesetzlichen Neuregelung getroffen. Seit dem Urteil sind beispielsweise keine Minderungen vorgesehen, die 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfes überschreiten.
Die vorgenannten Regeln galten noch im Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studie, der die Jahre von 2012 bis 2018 umfasst. Im Fokus stehen die Auswirkungen einer ersten Sanktion innerhalb eines Jahres wegen anderer Pflichtverletzungen als Meldeversäumnissen.
Sanktionen erhöhen Übergänge in Beschäftigung, wirken sich aber negativ auf die Qualität der aufgenommenen Beschäftigung aus
Sanktionen sollen eine Verhaltensänderung der Betroffenen bewirken und ihre Kooperation mit dem Jobcenter fördern, um die Arbeitsmarktintegration zu beschleunigen. Die Arbeitsuchtheorie geht davon aus, dass Leistungsbeziehende infolge einer Sanktion nicht nur verstärkt nach Arbeit suchen, sondern auch eher bereit oder gezwungen sind, eine qualitativ schlechtere Beschäftigung anzunehmen – zum Beispiel niedrig entlohnte Arbeit oder Jobs im Helfer– und Anlernbereich.
Empirische Analysen bestätigen diese Annahmen. In ihrer als IAB-Kurzbericht 5/2017 erschienenen Studie haben Gerard van den Berg, Arne Uhlendorff und Joachim Wolff die Auswirkungen von Sanktionen für männliche Leistungsbeziehende unter 25 Jahren in Westdeutschland untersucht. Demnach erhöhen sich die Übergänge in Beschäftigung nach der ersten und zweiten Sanktion aufgrund einer Pflichtverletzung deutlich. Allerdings fällt beim Übergang in eine ungeförderte versicherungspflichtige Beschäftigung das tägliche Erwerbsentgelt infolge der ersten Sanktion um circa 3 bis 5 Prozent geringer aus. Studien zum System der Arbeitslosenversicherung in der Schweiz oder Schweden kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Sind die Auswirkungen auf die Beschäftigungsqualität nur kurzfristig oder von Dauer?
Die bisherige Forschungslage erlaubte keine Rückschlüsse darüber, ob die negativen Auswirkungen von Sanktionen auf die Beschäftigungsqualität nur kurzfristig oder dauerhaft bestehen. Einerseits ist denkbar, dass die Sanktionierten langfristig bessere Jobs finden, da sie durch einen schnellen Übergang in Beschäftigung beruflich relevante Kenntnisse und Fähigkeiten erhalten oder aufbauen können, anders als während Arbeitslosigkeit. Andererseits sind langfristig negative Auswirkungen möglich, wenn sanktionierte Leistungsbeziehende dauerhaft in instabiler und gering entlohnter Beschäftigung feststecken.
Das IAB ist dieser Frage nachgegangen und hat die längerfristigen Auswirkungen einer Sanktion für erwerbslose ALG-II-Beziehende im Alter von 25 bis 57 Jahren auf die Qualität von später aufgenommenen Beschäftigungsverhältnissen untersucht. Im Fokus der Untersuchung steht die erste Sanktion innerhalb eines Jahres, die auf eine Pflichtverletzung zurückgeht. Die Auswirkungen von Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen und von Sanktionen, die auf die erste Sanktion folgen, wurden nicht analysiert.
Die Wirkung der Sanktion lässt sich bestimmen, indem der Arbeitsmarkterfolg derjenigen, die eine Sanktion erhalten haben, mit dem Arbeitsmarkterfolg von nicht sanktionierten ähnlichen Personen in einer Kontrollgruppe verglichen wird (siehe Infokasten „Daten und Methoden“).
Zunächst wird die Auswirkung einer Sanktion auf die Wahrscheinlichkeit, in versicherungspflichtiger Beschäftigung zu sein, analysiert. Wie erwartet, ist die Beschäftigungswahrscheinlichkeit der Sanktionierten in den ersten drei Monaten nach der Sanktion um bis zu 1,4 Prozentpunkte höher (siehe Abbildung 1). Drei Monate nach der Sanktion haben die Betroffenen im Vergleich zu nicht Sanktionierten bei den Männern eine um 15 Prozent und bei den Frauen eine um 22 Prozent höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit. Die Sanktion trägt also zu einer schnelleren Beschäftigungsaufnahme bei. Auch über den dreimonatigen Zeitraum hinaus setzt sich die höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit der Sanktionierten fort.
Langfristig ist die Beschäftigungswahrscheinlichkeit für die Sanktionierten allerdings geringer: Vier Jahre nach der Sanktion liegt sie für Männer um 3,5 Prozent und für Frauen um 5 Prozent niedriger. Das heißt, die zunächst positive und die langfristig negative Wirkung der Sanktion heben sich langfristig gegenseitig auf. Über die untersuchten fünf Jahre gesehen, fällt die Gesamtdauer in Beschäftigung für die Sanktionierten sogar etwas geringer aus als für die nicht Sanktionierten. Dieser Unterschied ist allerdings nur für Männer schwach statistisch signifikant.
Eine mögliche Erklärung für diese langfristig negativen Auswirkungen ist, dass Sanktionierte infolge der Sanktion eine schlechter bezahlte und weniger stabile Beschäftigung ausüben. Im Folgenden wird deshalb dargestellt, ob und inwieweit sich die Wahrscheinlichkeit einer sozialversicherungspflichtigen Voll- und Teilzeitbeschäftigung zwischen Sanktionierten und Kontrollgruppe auch für verschiedene Entgeltgruppen unterscheidet (hier gemessen am täglichen Bruttoentgelt). Das tägliche Bruttoentgelt lässt sich zwar nicht direkt als Lohn interpretieren, da für dessen Berechnung Informationen zur Arbeitszeit benötigt würden, welche die Daten nicht beinhalten. Dieser Wert lässt jedoch eine Annäherung an den Lohn und damit an die Qualität der aufgenommenen Beschäftigung zu.
Die Analyse zeigt, dass die höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit (siehe Abbildung 1) in den ersten Monaten zu einem guten Teil auf Beschäftigung zu einem niedrigeren täglichen Bruttoentgelt zurückgeht (siehe Abbildung 2). So haben sanktionierte Männer nach drei Monaten eine um circa 30 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, weniger als 45 Euro am Tag (circa 1.370 Euro pro Monat) zu verdienen, als nicht sanktionierte Männer. Bei Frauen liegt die Wahrscheinlichkeit um 37 Prozent höher.
Die Wahrscheinlichkeit, täglich 68 Euro oder mehr zu verdienen (ab circa 2.070 Euro pro Monat), ist dagegen vom ersten Monat an geringer und sinkt im weiteren Zeitverlauf. Dieser Unterschied bleibt langfristig bestehen: Er liegt für Männer vier Jahre nach der Sanktion bei minus 13 Prozent, für Frauen bei minus 20 Prozent. Wird diese Analyse auf Vollzeitbeschäftigte beschränkt, zeigen sich ähnliche Ergebnisse. Dies verdeutlicht, dass Leistungsbeziehende tatsächlich eher eine niedriger entlohnte Beschäftigung ausüben, und nicht nur verstärkt einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen.
Unterschiede zeigen sich jedoch langfristig sowohl für die beiden Kategorien mit niedrigerem Tagesentgelt als auch zwischen den Geschlechtern: Für sanktionierte Männer ist die Wahrscheinlichkeit, täglich zwischen 45 und 67 Euro zu verdienen, dauerhaft erhöht. Die Unterschiede bei einem Tagesentgelt von unter 45 Euro verschwinden hingegen nach circa drei bis vier Jahren. Möglicherweise sind diese Beschäftigungsverhältnisse weniger stabil.
Bei sanktionierten Frauen hingegen ist nach circa drei bis vier Jahren die Beschäftigungswahrscheinlichkeit in allen drei Tagesentgelt-Kategorien geringer. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Frauen infolge der Sanktion vermutlich eher eine geringfügige Beschäftigung ausüben oder sich stärker vom Arbeitsmarkt zurückziehen.
Zudem hängt die Beschäftigungswahrscheinlichkeit auch von der Qualifikationsanforderung des Jobs ab. Für die zugrunde liegende Analyse wurde verglichen, ob das sogenannte Anforderungsniveau der Beschäftigung mit dem Berufsabschluss des Leistungsbeziehenden übereinstimmt.
Das Anforderungsniveau beschreibt die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Ausübung eines Berufs erforderlich sind. Dabei unterscheidet man beispielsweise zwischen Helfertätigkeiten, die keinen beruflichen Abschluss voraussetzen, und Fachkräften, bei denen ein Berufsabschluss vorausgesetzt wird. Dieser Indikator erlaubt somit eine Aussage darüber, ob Sanktionierte eine Beschäftigung ausüben, die ihrem Berufsabschluss entspricht, also einer qualifikationsadäquaten Beschäftigung nachgehen. Der Indikator zeigt demzufolge auch Helfertätigkeiten als qualifikationsadäquat an, wenn sie von Leistungsbeziehenden ohne Berufsabschluss aufgenommen werden.
Die Wahrscheinlichkeit, eine qualifikationsadäquate Beschäftigung auszuüben, ist für die Sanktionierten zunächst höher (siehe Abbildung 3). Langfristig geht sie jedoch zurück. Bei der Wahrscheinlichkeit, eine nicht qualifikationsadäquate Beschäftigung aufzunehmen, stellt sich der Verlauf hingegen anders dar: Sie ist für Sanktionierte auch langfristig tendenziell höher. Unter dem Strich haben die Sanktionierten also langfristig eine vergleichsweise geringere Wahrscheinlichkeit, qualifikationsadäquat beschäftigt zu sein.
Fazit
Die Ergebnisse bestätigen Erkenntnisse früherer Studien, wonach eine Sanktion den Übergang in Beschäftigung beschleunigt. Allerdings wirkt sie sich mittel- bis langfristig negativ auf die Beschäftigungsqualität aus: Rund fünf Jahre nach der Sanktion haben die Sanktionierten eine höhere Wahrscheinlichkeit als nicht Sanktionierte, eine schlechter entlohnte und nicht qualifikationsadäquate Beschäftigung auszuüben. Zudem ist die Beschäftigungswahrscheinlichkeit nach einer Sanktion langfristig niedriger, was möglicherweise eine Folge geringerer Beschäftigungsstabilität ist.
Sanktionen können sich sowohl auf den Erwerbsverlauf der Sanktionierten als auch auf ihre nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt negativ auswirken. Dies wiederum kann die in § 1 SGB II geforderte Stärkung der Eigenverantwortlichkeit von Leistungsbeziehenden und deren langfristige Erwerbsintegration erschweren. Bei der Anwendung von Sanktionen besteht also tendenziell ein Zielkonflikt zwischen schneller und nachhaltiger Beschäftigungsintegration.
Allerdings handelt es sich hier lediglich um erste Ergebnisse zu den langfristigen Auswirkungen von Sanktionen auf die Beschäftigungsqualität. Ob sich die Befunde auch für verschiedene Gruppen von Leistungsbeziehenden, für andere Zeiträume und für Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen oder bei Mehrfachsanktionen bestätigen oder gar gegenläufig ausfallen, muss in weiteren Analysen geklärt werden.
In der hier vorgestellten Studie wurde darüber hinaus die Auswirkung einer verhängten Sanktion untersucht, der sogenannte Ex-post-Effekt. Allerdings kann sich schon das Wissen um die Existenz von Sanktionen auswirken, was als sogenannter Ex-ante-Effekt bezeichnet wird. Diese Ex-ante-Wirkung, die einen größeren Kreis von Leistungsbeziehenden als die Sanktionierten betrifft, kann insbesondere für Übergänge in Beschäftigung eine wichtige Rolle spielen. Zu analysieren wäre daher, ob die Ex-ante-Wirkung von Sanktionen auf die Beschäftigungsqualität ähnlich wie die Ex-post-Wirkung ausfällt oder ob sich gegenläufige Effekte zeigen.
Auch wenn noch Fragen offen sind, liefern die bisherigen Ergebnisse dieser Analyse und anderer Studien wichtige Hinweise für negative Auswirkungen von Sanktionen auf die Beschäftigungsqualität. Insofern ist die im Urteil des BVerfG vom November 2019 angemahnte Einschränkung der Leistungsminderung durch Sanktionen zu begrüßen.
Eine Reform der Sanktionsregelungen könnte unerwünschte Auswirkungen von Sanktionen auf die Beschäftigungsqualität, aber auch im Hinblick auf Einschnitte in die private Lebenssituation der Betroffenen begrenzen und sich gleichzeitig positiv auf die Erwerbsintegration auswirken. In diesem Fall könnten Sanktionen zu einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt beitragen.
Joachim Wolff hat in einem 2019 erschienenen Beitrag für das IAB-Forum bereits Reformvorschläge formuliert: Da den Leistungsberechtigten der Zweck von Fördermaßnahmen, für deren Ablehnung oder Abbruch sie sanktioniert wurden, nicht immer klar zu sein scheint, sollten im Beratungsprozess gemeinsam die zu erreichenden Ziele und die hierfür zweckmäßigen Fördermaßnahmen festgehalten werden. Als Pflichtverletzungen würden dann lediglich Ablehnung oder Abbruch eben solcher Fördermaßnahmen gelten.
Ähnliche Reformvorschläge wären für die Sanktionierung bei Ablehnung oder Abbruch einer Beschäftigung denkbar. So könnten Jobcenter im Eingliederungsprozess verstärkt die Erwerbshistorie der Leistungsbeziehenden berücksichtigen und in Abstimmung mit den Leistungsbeziehenden die angestrebten Tätigkeiten definieren. Als Pflichtverletzungen würden dann lediglich Ablehnung oder Abbruch dieser vorher definierten Tätigkeiten gelten.
Hierfür müsste der Gesetzgeber jedoch Rahmenbedingungen schaffen, die eine stärkere Berücksichtigung der Beschäftigungsqualität im Beratungsprozess ermöglichen. Die bestehenden strengen Zumutbarkeitsregelungen für ALG-II-Beziehende dürften hier momentan eher hinderlich sein. Eine Anpassung dieser Regelungen könnte deshalb die negativen Auswirkungen der Sanktion auf die Beschäftigungsqualität abmildern. Denkbar wäre beispielsweise eine Karenzzeit, während der die derzeit bestehenden Zumutbarkeitsregelungen ganz oder teilweise ausgesetzt sind.
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, 24.06.2021