Stellungnahme zur Modernisierung des ÖGD

Die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), die
Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) sowie die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) fordern eine grundlegende Modernisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD)
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Der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), am 29. September 2020 von der Bundeskanzlerin und den Landesregierungen beschlossen, bietet nicht nur die Gelegenheit, die Gesundheitsämter in Deutschland medizinisch und informationstechnisch für die Bewältigung der gegenwärtigen oder nächsten Pandemie zu stärken, sondern ebenfalls die Grundlage für eine nachhaltige Modernisierung zu legen. Hierfür muss das Augenmerk auch auf die sozialkompensatorischen sowie planenden und koordinierenden Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gerichtet werden, wie z.B. aufsuchende Angebote für sozial
benachteiligte Familien, bevölkerungsbezogene Gesundheitsförderung sowie Gesundheitsberichterstattung, die bisweilen auch vor der Corona-Pandemie eher ein Schattendasein im ÖGD gefristet haben. Um diese Aufgaben kompetent zu meistern, muss der ÖGD personell auch durch Public Health-Absolvent/innen, qualifizierte Sozialarbeiter/innen, Pflegefachkräfte sowie Vertreter/innen weiterer relevanter Berufsgruppen gestärkt werden.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst, mit seinen rund 400 Gesundheitsämtern in den Städten und Landkreisen Deutschlands, ist während der Corona-Pandemie ins Zentrum des Gesundheitswesens gerückt. Die Herausforderung der Pandemieeindämmung hat jedoch offenbart, wie stark der ÖGD in vielen Kommunen in den letzten Jahren „heruntergespart“ wurde. Der daraufhin von Bund und Ländern beschlossene Pakt für den ÖGD (4 Mrd. Euro bis 2026) bietet nun die Chance zur Stärkung, Neuorientierung und Modernisierung. Die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) fordert gemeinsam mit der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) sowie der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) und dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Bund und Länder auf, jetzt die entscheidenden Weichenstellungen nicht zu verpassen.

„Gesundheit wird bestimmt durch die Art und Weise, wie wir leben, wie wir aufwachsen und alt werden, wie wir wohnen, wie wir uns fortbewegen, ob wir arm oder reich sind.“ (WHO Ottawa Charter). In diesem Sinne übernimmt der ÖGD bereits jetzt neben der Kontrolle über die Einhaltung von Hygienestandards und der Infektionsbekämpfung vielfache Aufgaben im Sinne der Beratung und Unterstützung der Bevölkerung. Aber insbesondere strukturell bedingt vulnerable Gruppen (wie z. B. pflegebedürftige Personen, sozial benachteiligte Familien, Menschen mit psycho-sozialen Beeinträchtigungen, Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen u.v.m.) werden von den Angeboten des ÖGD nicht hinreichend erreicht. Gerade für die Bevölkerungsgruppen, die während der Pandemie besonders betroffen sind – durch die Kontaktbeschränkungen, die Quarantäne- bzw. Isolationsmaßnahmen, eingeschränkte Bildungsangebote, Schließungen und die wirtschaftliche Rezession – ist ein ÖGD, der sozialkompensatorisch im Sinne der Chancengleichheit von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen agiert, wichtiger als je zuvor.

Das umfassende Gesundheitsverständnis im Sinne der WHO und die Herstellung gesundheitlicher Chancengleichheit muss der ÖGD zur Grundlage und zum Ziel seiner Arbeit machen. Hierfür wird die entsprechende Kompetenz benötigt, um insbesondere an den Schnittstellen zwischen Gesundheit, Bildung und Sozialem sowie Verkehr und Stadtentwicklung zu agieren. Ziel der Arbeit im ÖGD sollte es sein, interdisziplinär und -professionell sowie gemeinsam mit anderen Akteur/-innen fundierte Informationen zu erarbeiten und passgenaue Strategien zu entwickeln, Gesundheit ressortübergreifend und mit Blick auf den Alltag der Menschen zu fördern.

Was heißt das konkret?
DGSMP, DVSG, DGP und DBfK fordern:

  1. Infrastrukturelle und personelle Stärkung
    Soll der zukünftige ÖGD moderner werden, dürfen die Mittel des Pakts für den ÖGD nicht nur verwendet werden, um den ÖGD mit Informationstechnologie und ärztlichem Personal auszurüsten, sondern auch, um die bislang oft vernachlässigten Bereiche, u.a. den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst sowie die kommunale Gesundheitsförderung verbindlich durch qualifizierte Fachkräfte u.a. aus Public Health, Sozialer Arbeit, der Pflege und weiteren relevanten Berufsgruppen entsprechend aufzustocken, um den WHO-Ansatz von „Health in all Policies (HiAP)“ lokal mit Leben zu füllen. Dabei können die Ausführungen zum „Mustergesundheitsamt“ und „Muster-QPK“ im Land Berlin sowie Erkenntnisse aus dem Ausbau der Koordinierungsstellen für Gesundheitliche Chancengleichheit in allen Bundesländern1 Anregungen geben. Gleichzeitig muss dieses neue Personal qualifiziert werden, um zur Not in zukünftigen Krisenfällen im Gesundheitsschutz eingesetzt zu werden.
  2. Modernisierung der Gesundheitsdienstgesetze
    Um eine Modernisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes vor Ort zu bewerkstelligen, ist es erforderlich insbesondere die Aufgaben der Gesundheitsförderung und Prävention und die kommunale Gesundheitsberichterstattung (GBE) in der entsprechenden Gesetzgebung aller Bundesländer zu verankern. Darüber hinaus müssen die bisherigen Angebote zur Erreichung strukturell bedingt vulnerabler Gruppen qualitativ und quantitativ verstärkt werden.
  3. Ausbau und Stärkung der datenbasierten Planung und Steuerung
    Die Orientierung am kommunalen Bedarf durch das Zusammenspiel mit der Gesundheitsberichterstattung (GBE) kann zu einer qualitativ hochwertigen und nachhaltigen bevölkerungsbasierten Gesundheitsförderung beitragen, die bei der Vorbeugung nichtübertragbarer und Infektionskrankheiten wichtige Daten und lokale Strategien liefern kann. So ausgerüstet könnte der ÖGD Ansprechpartner und Koordinierungsstelle für die Lokalisierung, Planung, Steuerung und Evaluation von Maßnahmen der (ressortübergreifenden) Gesundheitsförderung und Prävention werden, wie dies teilweise in den Gesundheitsdienstgesetzen im Sinne der Koordination und Steuerung bereits vorgesehen ist. Dies wäre zudem anschlussfähig mit dem Ziel, den settingbezogenen Ansätzen im Kontext des Präventionsgesetzes über einen Projektcharakter hinausgehend Einzug in die kommunalen Strukturen zu gewähren.

Ihre Forderungen unterstreichen die DGSMP, DVSG, DGP und DBfK mit schon jahrzehntelangen Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit dem ÖGD im Rahmen des Kooperationsverbunds „Gesundheitliche Chancengleichheit“. Darüber hinaus lässt sich an nationale sowie internationale Erfahrungen aus dem „GesundeStädte-Netzwerk“ bzw. „WHO Healthy Cities Network“ und Empfehlungen der WHO zur Stärkung der öffentlichen Gesundheitsdienste anknüpfen.

Die Stellungnahme als PDF-Dokument finden Sie hier: https://www.dgsmp.de/stellungnahmen/stellungnahme-zur-modernisierung-des-oegd/