Partizipation ist ein wichtiges Merkmal gesundheitsförderlicher Projekte. Sie stellt sicher, das gesundheitliche Chancengleichheit möglich ist und erlaubt durch die Beteiligung der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer auch die Entwicklung besserer Projekte und Angebote. Aus diesem Grund möchten wir dem Thema Partizipation mit einer Miniserie Im Rahmen unseres Themas des Monats Raum verschaffen. In kleinen knackigen Beiträgen werden wir im Monat April verschiedene Aspekte dieses Themenkomplexes herausgreifen und für Sie beleuchten.
Die Sache mit der Partizipation oder: Viele Köche verderben den Brei?
Der Begriff Partizipation ist seit einiger Zeit in aller Munde. Überall soll plötzlich partizipiert werden, ein Bundes-Teilhabe-Gesetz soll sicherstellen, dass Partizipation unabhängig vom Geldbeutel möglich ist. Man gewinnt zuweilen den Eindruck Partizipation sei nur die neue Beschreibung für „dabei sein ist alles“. Der Duden sagt uns, der Begriff bedeutet so viel wie Teilhabe, beteiligt sein oder sogar Teilnahme. Alles vollkommen richtig, im Kontext der Gesundheitsförderung jedoch aus unserer Sicht zu kurz gegriffen.
Denn wenn wir in der Gesundheitsförderung von Partizipation sprechen, dann bedeutet das nicht nur, dass wir unsere Türen öffnen und warten, dass jemand hereinkommt. Für uns bedeutet Partizipation vor allem, rauszugehen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und ihre Sicht der Dinge ehrlich zu erfragen. Es bedeutet, dass wir nicht im stillen Kämmerlein Angebote entwickeln, sondern dass bereits in der frühen Phase eines Projektes Bedarfe, Bedürfnisse und Expertenwissen der Personen berücksichtigt werden, für die wir Angebote zur Verfügung stellen wollen. Für uns ist Partizipation mehr als nur bloßes dabei sein. Partizipation bedeutet, dass Sorgen und Nöte, Ideen, Wünsche und Impulse der Menschen nicht nur gehört, sondern auch ernst genommen und berücksichtigt werden
Das ist nicht immer leicht und oft genug machen es Förderbedingungen schwer, dieses Ideal zu erreichen. Trotzdem ist das kein Grund, die Partizipation über Bord zu werfen. Der Kooperationsverbund gesundheitliche Chancengleichheit zählt die Partizipation zu den 12 Kriterien guter Praxis und als solche sollte sie auch betrachtet werden. Die Steckbriefe und Arbeitsmaterialien sowie die bundesweit angebotenen Lernwerkstätten zu den 12 Kriterien sind nur einige Angebote, die den Akteuren der gesundheitsförderlichen Praxis- und im Übrigen auch allen anderen- zur Unterstützung Zur Verfügung stehen.
Auch wenn wir also nicht immer in allen Projekten Partizipation so gestalten können, wie wir es für richtig halten: wir können immer daran arbeiten und besser werden.
Mit Mann und Maus- Partizipation mit Kindern, Migranten und Menschen mit Behinderung
In unserem letzten Beitrag haben wir gesagt, dass ein wichtiger Teil der Partizipation ist, die Ideen und Wünsche der späteren Angebotsnutzer zu erfragen und zu berücksichtigen. Was ist jedoch, wenn eben diese Nutzer aufgrund von sprachlichen, kognitiven oder körperlichen Einschränkungen nicht oder nur teilweise in der Lage sind, diese zu äußern?
Sollten Kinder von partizipativen Verfahren ausgeschlossen sein, weil sie aufgrund ihrer geistigen Entwicklung die Dimensionen ihrer Beteiligung nicht verstehen können? Ist es zu mühsam, sich darauf einzulassen, mit Migranten und Geflüchteten über ihre Vorstellung von Gesundheit zu sprechen, auch wenn es dafür Dolmetscher oder Sprachmittler braucht? Ist es überhaupt möglich, die Wünsche von mehrfach Körperbehinderten oder geistig Behinderten aufzunehmen?
Schwierige Fragen, für die es keine Pauschalantworten gibt. Wie so häufig in der Gesundheitsförderung ist ihre Beantwortung situationsabhängig und muss vor dem Hintergrund der Ziele und Ressourcen geklärt werden. Glücklicherweise ist Partizipation kein schwarz-weiß-Film. In den Erläuterungen des Kooperationsverbunds Gesundheitliche Chancengleichheit lernen wir, dass es verschiedene Stufen der Partizipation gibt. Also kein ganz oder gar nicht, sondern verschiedene Abstufungen: von Informationen und Anhörung über Beteiligung und Mitwirkung bis hin zu Mitentscheidung und Selbstorganisation. Somit ist es für Projektträger möglich, situationsabhängig eine passende Partizipationsstufe auszuwählen. Und im Sinne des Public Health Action Cylces kann sich die auch mitfortschreitender Arbeit auch weiterentwickeln und verändern.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Methoden, Instrumente und Unterstützungsangebote, um eine erfolgreiche Partizipation auch mit besonderen Adressaten zu gestalten. Kindgerechte Beteiligungsmethoden wurden bereits in verschiedenen Projekten erfolgreich umgesetzt und sind z. B. in einer Publikationsreihe der Bertelsmann-Stiftung verarbeitet. Die Verwendung leichter Sprache macht es sowohl für Menschen mit Deutsch als Zweitsprache, als auch für Muttersprachler mit bildungsfernem Hintergrund einfacher, Projektansinnen und Entscheidungsoptionen zu verstehen.
Auch Multiplikatoren können uns helfen, in schwierigen Kommunikationssituationen eine Form von Beteiligung zu erreichen. Lehrer, Betreuer oder Pfleger kennen ihre kleinen und großen Schützlinge und deren Persönlichkeiten, können ihre Reaktionen deuten und Intentionen vermitteln. Gemeinsam kann die Gesundheitsförderung so ein gesundes Aufwachsen und Leben für alle ermöglichen.
Bei aller Partizipation gibt es jedoch auch immer die fachliche Sicht, die wir als Gesundheitsförderer nicht aus den Augen verlieren sollten. Wie wir mit ggf. konträren Ansichten partizipativ umgehen, damit beschäftigen wir uns in der nächsten Ausgabe unserer Mini-Serie.
Zwischen Wunschdenken und Realität- Die Gradwanderung der Partizipation
Wie weit darf Partizipation gehen? Gibt es Grenzen dafür, welche Wünsche und Vorstellungen berücksichtigt werden sollen? Und wenn ja: Wer darf diese Grenzen festsetzen?
Im ersten Teil unserer Reihe haben wir bereits gesehen, dass die Möglichkeiten der Partizipation vielfach von äußeren Einflüssen bestimmt und z. T. auch begrenzt werden. Wer viel in geförderten Projekten arbeitet, wird diese Situationen kennen: Man würde ja gerne die Zielgruppe befragen, aber das würde viel Zeit brauchen, die sowieso schon knapp ist in ein- oder zweijährigen Projekten. Der gleichen Überlegung fällt übrigens oft genug auch die Projektevaluation zum Opfer. Oder eine Einbindung der Zielgruppe ist aus Datenschutzgründen mit so viel Aufwand verbunden, dass man doch lieber verzichtet. Solche organisatorischen Einschränkungen sind eine häufige Hürde für die partizipative Arbeit, manchmal entscheidet man sich jedoch bewusst dafür, weniger Partizipation anzubieten.
Dies kann z. B. der Fall sein, wenn zu erwarten ist, dass die Wünsche und Vorstellungen der Zielgruppe fachlichem Vorgehen entgegenstehen, oder die Zielgruppe aufgrund ihrer kognitiven oder emotionalen Fähigkeiten (noch) nicht in der Lage ist, eine gesunde Entscheidung zu treffen. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit mit sehr bildungsfernen Gruppen oder psychisch Erkrankten, ob dies zutrifft, muss jedoch immer im Einzelfall überprüft werden. Häufig ist es auch möglich, in diesen Fällen eine Partizipation zumindest auf einer anderen Ebene anzubieten, etwa indem Auswahlmöglichkeiten gegeben werden, die alle zur fachlichen Zielerreichung beitragen. Auch bei Kindern, wo häufig ein eher gesundheitserzieherischer Aspekt im Vordergrund steht, kann diese „Taktik“ gut angewandt werden. Auch eine Mitentscheidung hinsichtlich der Alternativen der Umsetzung ist bereits im Kindergartenalter möglich.
Schwieriger ist es bei Erwachsenen, die zu Recht eine echte Mitbestimmung einfordern. Manchmal meinen wir als Experten, dass man bestimmte Personen lieber nicht mitentscheiden lässt, da wir ihnen die entsprechenden Kompetenzen absprechen. Denken wir beispielsweise an Nadine aus der Sendung „Frauentausch“, die voller Überzeugung vom Vitamingehalt in Leberwurst und „Erdbeerkäse“ sprach.
Als fachliche Experten müssen wir uns die Frage stellen, wie in solchen Fällen Partizipation gelebt werden kann, ohne dabei den fachlichen Anspruch und das Ziel des Vorhabens aus den Augen zu verlieren oder die Zielgruppe zu bevormunden. Keine einfache Entscheidung. Wenn man zwischen eigener (fachlicher) Überlegenheit und der Überzeugung, dass jeder Experte für sein eigenes Leben ist, hin- und hergerissen ist, kann Partizipation ein dünnes Eis sein.
Aber genau darum geht es: Wie weit können wir die Kompetenz der Zielgruppe für ihre eigene Gesundheit, für ihr eigenes Leben akzeptieren? Wo meinen wir, eingreifen und belehren zu müssen?
Die Lösung dieses Dilemmas heißt: Stufen der Partizipation. In den „Kriterien für gute Praxis in der soziallagenbezogene Gesundheitsförderung“ lesen wir im Kriterium Partizipation, dass es verschiedene Stufen der Partizipation gibt, inklusive Vorstufen, die auch in schwierigen Projektkonstellationen machbar sind und der Zielgruppe ein Mindestmaß an Beteiligung anbieten.
Die zweite gute Botschaft: Partizipation ist keine Sackgasse! Es kann sich im Laufe der Zusammenarbeit auch eine Veränderung der Situation einstellen, die mehr und komplexere Partizipation erlaubt. Kompetenzen der Zielgruppe können sich entwickeln, das Verständnis für Gesundheit und gesundes Verhalten verändert sich, die Potentiale partizipativer Arbeit wachsen.
Unterm Strich können wir festhalten, dass es viele Gründe gibt, Partizipationsmöglichkeiten zu beschränken. Aber es gibt mindestens ebenso viele Gründe, Partizipation trotzdem zu versuchen, auch, wenn es vielleicht zunächst in einem begrenzten Umfang ist. In der Gesundheitsförderung arbeiten wir auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, wir können als Experten nur anbieten und für die Qualität des Angebots sorgen.
Die Chancen, dass die fachlich guten Angebote angenommen werden, steigt mit dem Maß der Partizipation.
Ohne Moos nix los? – Partizipation bei knapper Kasse
Die Begeisterung für Partizipation hat Sie gepackt und jetzt würden Sie gerne aktiv auf Ihre Zielgruppe zugehen? Aber Moment, im Projektplan ist das gar nicht vorgesehen gewesen…! Jetzt fehlen die Mittel – oder doch nicht?
Keine Sorge, Partizipation muss nicht viel kosten. Sicher, man kann großartige Studien und Befragungen in Auftrag geben oder umfangreiche Gremien aufbauen. Aber es geht auch anders – mit wenig Geld oder sogar kostenfrei.
Zunächst müssen Sie sich allerdings klar machen, welche Form der Beteiligung Sie sich für Ihr Projekt vorstellen. Information, Einbeziehung oder Mitbestimmung – ganz gleich, welche (vor-)Stufe Sie sich aussuchen, es dreht sich immer um die Zielgruppe. Die sollten Sie auf jeden Fall im Blick haben, wenn Sie Maßnahmen und Möglichkeiten zur Partizipation planen. Wo bewegt sich die Zielgruppe, was bewegt sie? Welche Kommunikationskanäle werden genutzt, wer könnte als Multiplikator dienen? Ist das Thema relevant und wenn nicht, wie könnten Sie dafür sensibilisieren?
Das heißt, vor der Partizipation steht eine gewisse Vorarbeit, die sich um die Zielgruppe dreht. Erst dann kann es an die Umsetzung gehen. Und hier gibt es jede Menge Möglichkeiten!
Wenn es darum geht, die Zielgruppe zu informieren, stehen auch für kleine Projektbudgets viele Türen offen. Häufig gibt es Stadtteil- oder Regionalmagazine, deren Redaktionen sich sicherlich für lokale Angebote interessieren. Auch „Gratiszeitungen“ nehmen inhaltliche Beiträge oft kostenfrei auf und erreichen häufig genau die Zielgruppen, die wir in der Gesundheitsförderung ansprechen wollen. Dazu kommen die schier endlosen Weiten der sozialen Medien. Auch wenn der eine oder andere diese Kanäle mit Vorsicht betrachtet, bietet sich hier großes Potential. Seien es lokale Gruppen bei Facebook, regelmäßige Informationen bei Instagram oder ein gut gemachter Newsletter können dazu dienen, die Projektaktivitäten transparent zu machen. Wichtig ist hier vor allem, dass inhaltlich und sprachlich auf die Zielgruppe eingegangen wird.
Auch bei der Einbeziehung und Mitbestimmung können soziale und digitale Medien eingesetzt werden. Onlinebefragungen und Videokonferenzen sind inzwischen vielen vertraut und es stehen zahlreiche, z. T. auch kostenfreie Angebote zur Verfügung. Wenngleich diese Kommunikationswege für einige Zielgruppen zum Alltag gehören und ihre Nutzung keinerlei Schwierigkeiten macht, lassen sich nicht alle Gruppen damit erreichen. Für einige Partizipationsansätze braucht es zudem einen persönlicheren Zugang. Hier stehen wir vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie derzeit natürlich vor einer großen Herausforderung. Vor Ort sind Treffen momentan nicht oder nur sehr begrenzt möglich. In anderen Zeiten bieten jedoch Stadtteilbegegnungszentren, Dorfgemeinschaftshäuser oder auch die Räume von Kirchgemeinden einen Platz für Austauschtreffen und Gremiensitzungen und das häufig kostenfrei oder für kleines Geld.
Abstimmungen und Befragungen können auch schriftlich durchgeführt werden, etwa mit Fragebögen oder durch Aufrufe zur schriftlichen Beteiligung. Auch hier gilt es, die Gestaltung der Zielgruppe anzupassen. Ob Großdruck für Senioren oder Piktogramme für Kinder: Eine gute Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Lebensrealitäten stellt sicher, dass Beteiligung auch wirklich möglich ist und als wertschätzend wahrgenommen wird.
Ganz gleich, für welche Zielgruppe oder welche Partizipationsstufe Maßnahmen geplant werden: Es muss nicht teuer sein! Gerade im Umgang mit benachteiligten Gruppen kann eine offensichtlich teure Ansprache sogar eher einschüchternd wirken. Was genau jedoch der richtige Ansatz ist, kann nur im individuellen Fall entschieden werden. Oft ist auch die Einbindung eines Zielgruppenmitglieds hilfreich. Ein solcher Peer-Ansatz kann Türen öffnen, Partizipation unterstützen und damit dafür sorgen, dass passgenaue Angebote entstehen und angenommen werden.
Und wenn irgendwo doch mal mehr Mittel gebraucht werden, findet sich vielleicht in Ihrem lokalen Netzwerk ein Partner, der Sie finanziell unterstützen kann. Auch das ist Partizipation!